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matt studer

Was, wenn Gott meine Freiheit einschränkt? Ein vielleicht etwas unbequemes Postskript zum Thema Freiheit


Freiheit muss grenzenlos sein, das aber doch nur in bestimmten Grenzen.

(Erhard Blanck)



Gott macht uns frei und zur Freiheit hat Christus uns befreit. Freier kann man es gar nicht ausdrücken. Das Evangelium befreit uns zu einem Leben mit Gott, in Christus, geleitet durch den Heiligen Geist. Ein Leben, das uns durch und durch frei macht von allem, was uns niederdrücken oder negativ einschränken könnte. Oder nicht?


Wir haben es gesehen, die biblische Story lebt von solchen Befreiungsmomenten wie dem Exodus, der Befreiung des Volkes Israels aus der Sklaverei in Ägypten. Oder, wie es das Neue Testament umdeutet, der Befreiung vom Versklavtsein an die Sünde. Dabei tut sich ein Spannungsfeld auf. Während das Alte Testament die gesellschaftliche Befreiung aus einer politischen Unterdrückungssituation highlightet, legt das Neue Testament den Fokus stärker auf das innere Moment des "Frei Seins für und vor (oder sogar in) Gott". Nennen wir es eine äussere und eine innere Freiheit; ein frei Sein von äusseren Zwängen und ein frei Sein von inneren Gefangenschaften.


Man mag sich nun fragen, wieso die erste Kirche sich nicht direkt für die Abschaffung der Sklaverei in der damaligen Gesellschaft eingesetzt hat? Legten die Apostel keinen Wert auf äussere (gesellschaftliche) Freiheit und verlagerten sie Freiheit einfach nach innen, als eine persönliche Freiheit des Individuums vor Gott? Wenn man die Situation genauer anschaut, entpuppt sich diese Spannung als weniger spannungsvoll als zuerst gedacht. Die Situation der Kirche war, dass sie eine kleine Entität in einem pluralistischen System von verschiedenen Optionen darstellte (ganz im Gegensatz zum theokratischen Modell des Alten Testaments, wo Gottes Gesetz die Gesellschaftsordnung bestimmte). Die erste Kirche hatte als Minorität gar nicht die Möglichkeit, die Gesellschaft strukturell zu reformieren. Vielmehr sollte sich christliche Freiheit zuerst in der Kirche selbst, also in den eigenen Reihen manifestieren. So lese ich beispielsweise den Philemonbrief, in dem Paulus den Philemon auffordert, seinen einstigen Sklaven Onesimus nunmehr als seinen Bruder aufzunehmen (Philemon 1,16), weil die soziale Unterscheidung in Sklave und Herr in Christus hinfällig geworden ist (Gal. 3,28). Die vertikal-persönliche Freiheit eines jeden Einzelnen sollte sich zuerst in der Gemeinschaft der Kirche auf der horizontalen Ebene verwirklichen. Von dort aus konnte sie dann in die Gesellschaft überschwappen und diese transformieren - etwas, was in Bezug auf Sklaverei in der frühen Kirche nach den Aposteln auch tatsächlich passierte.


So gesehen ist die Freiheit, die uns im Evangelium gegeben ist ganzheitlich. Sie betrifft nicht nur unsere geistlich-innere Sphäre, sondern auch unsere sozialen Beziehungen, ja, im Endeffekt auch unseren materiellen Körper - bedenken wir, dass Jesus auch kam, um Blinde sehend und Lahme gehend zu machen. Das Evangelium wäre keine befreiende Nachricht, wenn wir nicht letzten Endes als ganzer Mensch frei sein würden, mit Seele, Körper und Geist. Die Spannung liegt eben auch darin, dass wir einerseits bereits in den Genuss der christlichen Freiheit gekommen sind und gleichzeitig noch auf ihr volle Erfüllung warten. Gott befreit uns bereits jetzt von der Herrschaft der Sünde - und doch kämpfen wir noch gegen die Restposten von Sünde in und um uns herum. Gott macht uns bereits innerlich wieder kompletter - und doch gibt es noch Löcher, die nicht ganz gestopft werden. Gott heilt uns manchmal - und doch laufen wir noch nicht in unserem Auferstehungskörper herum, werden krank und sterben (bis wir wieder auferstehen). Das Evangelium kann ganze Gemeinschaften und Gesellschaften transformieren - und doch kämpfen wir immer wieder gegen das Böse, das wieder und wieder aufsteht und sich in der ganzen Welt und leider sogar manchmal innerhalb der Kirche breit macht.



Der christliche Glaube kann unsere Freiheit einschränken - wenig negative Freiheit für die verfolgten Christen weltweit

Viele unserer christlichen Schwestern und Brüder leben mit dieser Realität: Eben weil sie Christen sind, wird ihre Freiheit von aussen zum Teil massiv eingeschränkt, bis dahin dass sie wegen ihres Glaubens ins Gefängnis oder sogar bis in den Tod gehen. Gemäss dem Verfolgungsindex von Open Doors sind es aktuell mehr als 365 Millionen Christen in 78 verschiedenen Ländern, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden! Sie erleben damit nur dasselbe, was schon die Apostel und nota bene ihr Herr, Jesus Christus erlebt haben. Der Apostel Paulus und Silas waren jedoch damals so frei, sogar im Gefängnis Loblieder für Gott zu singen. Es scheint tatsächlich der Erfahrung vieler verfolgter Christen zu entsprechen, dass der christliche Glaube ihnen eine innere Freiheit schenkt, die selbst in den schwierigsten äusseren Umständen nicht krepiert. Mit null äusserer Freiheit, sind sie trotzdem noch frei, an ihrem Gott festzuhalten und dabei sogar ihren Peinigern Gutes zu tun.


Der christliche Glaube hat die Kraft, uns zu einem Leben zu befreien, das gerade in den schwierigsten Momenten den Stürmen des Lebens diesseits der Ewigkeit standhält. Das Pattern, das die Bibel uns immer wieder präsentiert lautet: Durch Leiden gelangen wir in die Herrlichkeit. Oder wie der Apostel Petrus es so memorabel ausgedrückt hat: Durch den Schmelzofen des Lebens werden wir gereinigt, so dass am Ende nur doch das reine Gold übrigbleibt (1. Petrus 1,7; ähnlich auch im Brief des Jakobus). Hier geht es nicht um eine Pseudofreiheit, ein Abklenkungsmanöver, um die Realität auszublenden. Christliche Freiheit macht uns im Gegenteil frei, der Realität des Lebens in die Augen zu schauen und trotzdem hoffnungsvoll zu bleiben. Es ist mehr unsere Wohlstandsgesellschaft, die die Realität, dass wir in diesem Leben auch leiden, gerne ausblenden möchte. Es ist schon so: Der christliche Glaube schaut nach vorne, auf das, was noch kommt, auf den Moment, in dem wir von allen Leiden befreit sein werden. Doch gerade dieses vorwärts Schauen macht uns resilient im Angesicht des Schwierigen, das uns im Jetzt begegnet. Resilienz ist sozusagen ein Nebeneffekt christlicher Freiheit. Als Christen sind wir frei, den schwierigen Momenten zu begegnen und trotzdem zu singen, so wie Paulus und Silas im Gefängnis.


Christliche Nachfolge schränkt meine Möglichkeiten ein - viel positive Freiheit, dafür ein Verzicht auf negative Freiheit

Manche Menschen halten sich gerne alle Optionen so lange wie möglich offen. Und ist es nicht so, dass wir es geniessen, unser Leben ganz nach unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten? Ich selbst geniesse meine negative Freiheit, dass mein Leben nicht von äusseren, gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen eingenommen wird und ich frei bin, meine Zeit mit dem zu füllen, was ich auf dem Herzen habe.


Und dennoch konfrontiert mich der christliche Glaube mit Einschränkungen, die ich aber (meistens) gerne freiwillig auf mich nehme. Was meine ich damit? Als Christ ist mir alles erlaubt, aber nicht alles ist gut für mich (1 Korinther 10,23). Das heisst für mich, dass ich Prioritäten setze, was mein Leben mit Gott anbelangt. Beten, Bibellesen und Stille sind keine Optionen, sondern gehören zum Alltag dazu wie das Zähneputzen oder Duschen. Ein anderes Beispiel: Da ich so gerne Filme schaue, stehe ich in der Versuchung, mir zu oft schnell noch einen Film reinzuziehen. Doch weil ich Jesus nachfolge, versuche ich meinen Konsum zu drosseln, weil ich erkenne, dass ich meine Zeit sinnvollerweise noch für anderes und andere einsetzen möchte. Zudem sind nicht alle Filme gut für mich. Als einer, der Jesus nachfolgt, darf ich auch auf Filme verzichten, die mir letztlich gar nicht gut tun würden.


Und wie steht es mit dem Sonntagmorgen? Brunchen wäre auch schön, aber bei uns ist es der (fast) sonntägliche Gottesdienstbesuch, der unseren Sonntag strukturiert. Ist der Gottesdienst Pflicht? Ja und nein. Vielleicht fühlt es sich manchmal so an, wenn man auf Brunchen und alles andere verzichtet. Andererseits ist der Gottesdienst ein Moment, der uns aufbaut, refokussiert und mit einer neuen Perspektive in den Alltag sendet. Es ist ein heiliger Rhythmus, der das Leben so strukturiert, dass Gott prominent darin vorkommt.


Christliche Nachfolge schränkt meine Optionen (meine Freiheiten) ein. Doch werden hier auch Prioritäten gesetzt, die mich letztlich freisetzen Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Verstand nachzufolgen. Es ist doch so: Wenn ich zuerst nach Gottes Königreich trachte, kann ich nicht noch alle Hobbies verwirklichen, mir alle Goodies reinziehen oder bei jedem Spiel mitspielen. Wenn ich Gott ganz diene, schränkt mich das schon ein. Auf der anderen Seite weiss ich, dass Gott dafür schaut, dass mir alles, was ich brauche, zufallen wird (Matthäus 6,33). Jesus konsequent nachzufolgen heisst, dass ich weiss, wofür ich lebe und dementsprechend handle. Je länger ich damit unterwegs bin erkenne ich, dass darin eigentlich eine riesige Freiheit liegt!


Aber was ist, wenn Gottes Gedanken für mein Leben gegen meinen Strich gehen?

Ich bin bereits in meinem ersten Beitrag zum Thema Freiheit darüber gestolpert: Gott führte sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten, um ihnen sein Gesetz zu geben. Führte der Weg des Volkes Israels also von der Unterdrückung durch den einen Sklaventreiber zu einem anderen Sklavenherrn, nach dessen Pfeife sie nun tanzen sollten? Es stimmt, Gott führte sein Volk unter seine Herrschaft. Aber das war eine Herrschaft, die sie freisetzte. Und sein Gesetz war ein Gesetz, das ihr Dasein so regelte, dass das Gute in ihrem Leben und in ihrer Gemeinschaft verwirklicht werden konnte. Gottes Gesetz ist süsser als Honig und besser als Gold, wie der Psalmist sagt, eben weil Gottes Gedanken für uns befreiend und wohltuend, wahr und gut sind.


Leider fühlt sich das vordergründig nicht immer so an. Was ist denn, wenn Gott zu etwas Nein sagt, das mir sehr lieb ist, das mit meiner tiefsten Identität zu tun hat oder etwas ist, ohne dass ich nicht leben kann (oder will)? Das fühlt sich dann so an, als würde ich, oder als würde mein Leben beschnitten. Und wenn Gott etwas abschneidet, an dem ich sehr fest hänge, kann das schon schmerzvoll sein. Dann sehe ich vielleicht den Mehrwert, die wahre Freiheit, zu der Gott mich durch sein Nein letztendlich bringen will gerade nicht, sondern denke im Gegenteil, dass Gott zumindest in diesem Punkt kein guter Vater für mich ist, weil er mir etwas wegnimmt, weil er mich vielleicht nicht versteht, oder weil er ganz einfach streng und hart mit mir ist.


Wieso sollte Sex nur in der Ehe von einem Mann und einer Frau, aber in keinem anderen Gefäss ausgelebt werden, sei es ausserhalb einer Ehe oder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen? Wieso sollte Gott uns in einem so wichtigen und mit unserer Identität so tief verwobenen Bereich unserer 'Freiheiten' berauben (gerade wenn man nicht in die gewünschte Kategorie gehört und gleichgeschlechtlich empfindet)? Das fühlt sich nicht nur zutiefst unfrei, sondern auch gemein an. Ashleigh Hull, eine Frau, die sich zu anderen Frauen hingezogen fühlt, meint:

Es scheint, dass [der christliche Glaube] von den Menschen verlangt, zu ignorieren, zu unterdrücken oder zu leugnen, wer sie wirklich sind – eine Lüge zu leben –, was unfair und sinnlos grausam ist.

Was aber, wenn Gott hier tatsächlich Nein sagen würde, so krass das für uns tönen mag? Ashleigh beschreibt, wie sich dieses Nein Gottes in ihrem Leben anfühlte:

Als meine Freundin und ich uns schließlich endgültig trennten, gehorchte ich Jesus mit zusammengebissenen Zähnen. Ich entschied mich, ihm zu vertrauen. Ich konnte aber nicht verstehen, warum er in dieser Sache „Nein“ zu mir sagte.

Wir befinden uns hier in einem herausfordernden Thema und ich kann nicht aus eigener Erfahrung reden. Ich weiss nicht, wie es sich anfühlt, mit diesem spezifischen Nein von Gott konfrontiert zu werden. Ich erlebe Gottes Nein in anderen Bereichen, die vielleicht etwas weniger herausfordernd sind. Wir alle müssen uns die Frage stellen, ob Gott uns durch seine Nein's - so weh sie zunächst tun - nicht tatsächlich in eine grössere Freiheit führen will, eine Freiheit, die vielleicht anders aussieht, als wir sie uns vorstellen? Um das Beispiel der Sexualität zu entfalten: Spricht nicht die Bibel gerade von der Freiheit des Singleseins und dem Privileg, als Single ganz für Gott dasein zu können? Paulus meint: Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich. (1 Korinther 7,7) Gut, der Apostel spricht auch davon, dass Single Sein keine Wahl, sondern eine Gabe ist. Paulus und Jesus waren beide Singles und genossen kein Sexleben. Bitte verzeiht mir, wenn ich das so sage. Ich möchte lediglich auf das hinweisen, was die Bibel als alternative Option und ja, als befreiende Möglichkeit offenhält.


Für Ashleigh Hull ist Gottes Nein heute nicht länger ein Gefängnis. Denn sie ist fest davon überzeugt, dass Gottes Plan mir ihrem (sexuellen) Leben gut und befreiend ist (was nicht heisst, dass dieser Plan easy wäre). Für sie weist Sex auf die ultimative Realität hin, den zukünftigen Moment wenn Christus, der Bräutigam, seine Braut, die Kirche heiraten und zu sich holen wird. Menschliche Sexualität (ausgelebt in einer Mann-Frau-Ehe) ist wie ein Trailer dieser zukünftigen, himmlischen Realität.

Und so wie jemand nichts verpasst, indem er den Trailer überspringt und sich den Film ansieht, verpasse ich nichts, weil ich jetzt nicht verheiratet bin. Wir alle, die wir Jesus nachfolgen, werden eines Tages das Echte genießen und für immer mit ihm verheiratet sein.

Dann wird es auch keinen ehelichen Sex mehr brauchen, weil sich diese archetypische Realität verwirklicht hat. In der Zwischenzeit lebt jede und jeder in der Situation, in die Gott sie oder ihn gestellt hat - mit allen Ja's und Nein's.

Single Sein erklärt, dass Gott selbst genug ist und dass es sich lohnt, auf die Zukunft zu warten, die er verspricht. Alleinstehende erzählen durch ihre Sexualität die gleiche Geschichte wie verheiratete Menschen, nur auf eine andere Art und Weise.

Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es für uns so herausfordernd ist. Der Weg in die wahre Freiheit kann schwierig sein und manchmal weh tun. Glauben wir, dass Gott uns in die wahre Freiheit führen will und wird und dass seine Gedanken über unserem Leben gut sind? Bekennen wir, dass sein Gesetz durch und durch gut und befreiend ist? Leben wir so, dass wir Gott den ersten Platz einräumen und sich die freimachende Botschaft seines Evangeliums in allen Bereichen unseres Lebens verwirklichen kann? Entscheiden wir uns dazu, alle Karten auf diesen Gott zu setzen, der seine Freiheit soweit beschnitten hat, dass er sich gefangen nehmen liess und sogar am Kreuz für uns starb?


Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnt sich nach dem Vollkommenen, Ewigen und Unendlichen als seinem Ursprung und Ziel. (Matthias Claudius)





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