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Erleben wir gerade eine stille Erweckung? - Gedanken zu 'Responding to the Rebirth' mit Justin Brierley und Glen Scrivener

  • matt studer
  • vor 3 Tagen
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 1 Tag


Ich durfte dieses Wochenende der 'Responding to the Rebirth'-Konferenz in London UK beiwohnen. Hauptinitianten dieser Konferenz waren Glen Scrivener von SpeakLife, sowie der bekannte Broadcaster Justin Brierley, dessen Buch The Surprising Rebirth of Belief in God der Konferenz den Titel gab. Brierley beschreibt in seinem Buch den Wandel von einer aggressiven Antihaltung gegen den christlichen Glauben, die in der Bewegung der Neuen Atheisten mit ihrem Zugpferd Richard Dawkins ihren Höhepunkt fand, hin zu einer neuen und grösseren Offenheit für Gott im öffentlichen intellektuellen Diskurs (Leute wie Jordan Peterson oder Tom Holland werden genannt). Sogar Dawkins bezeichnet sich heute ja als 'kultureller Christ', weil er gewisse Werte und Haltungen schätzt, die uns das Christentum hinterlassen hat und auf der anderen Seite befürchtet, dass diese Werte durch den Einfluss von neueren postchristlichen Varianten oder dem Einfluss des Islams untergraben werden könnten. Zu diesem intellektuellen Rebirth habe ich Anfang dieses Jahres einen Blogbeitrag verfasst.


An dieser Konferenz ging es jedoch nicht primär um die plötzlich neue Offenheit für Gott im intellektuellen Milieu. Im Zentrum stand ein Bericht der British Bible Society, der hier nachgelesen werden kann. Dieser Bericht belegt eine ausserordentlich bemerkenswerte Statistik, was die Entwicklung der Kirchenbesuche von 2018 bis 2024 in England und Wales anbelangt. Ich will nicht in die Details gehen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass gerade unter den jüngeren Generationen (Gen Z und Millenials) ein neues Interesse am christlichen Glauben erwacht ist. Vor allem junge Männer strömen in die Kirche - und zwar in jegliche Art von Kirche, sei sie anglikanisch, griechisch-orthodox, katholisch oder evangelikal und pfingstlich. Um nur eine Statistik zu nennen: Waren es im Jahr 2018 nur 4% der Männer zwischen 28 und 24, die regelmässig einen Gottesdienst besuchten, sind es 2024 stattliche 21%. Das beschreibt einen Anstieg von ca. 425%, wenn mich meine mathematischen Fähigkeiten nicht im Stich lassen. Das müsste doch mehr als ein Zufall sein, oder? Die Statistik zeigte auch, dass das Phänomen nicht nur weisse Männer (und Frauen, wenn auch weniger als Männer) betrifft, sondern dass Kirchen generell ethnisch diverser werden.


Wir blieben aber nicht bei Statistiken stehen, sondern hörten von verschiedenen Orten und Leuten (Pastoren, Professoren, Sportler), dass sich das geistliche Klima am wandeln sei. Fast am meisten bewegt hat mich das Zeugnis von Pastor John Funell, der mitten in der Pampa in Wales eine Kirche übernommen hat. Er berichtet:

When I arrived at Noddfa Church in 2014, the church was one of the few remaining chapels still open in the area. But with just a handful of elderly people attending, it was weeks away from closing.

Heute besuchen mehr als 150 Menschen den Gottesdienst! Das Berührende dieser Story ist für mich, dass John Funnell kein Superpastor ist, der natürlicherweise eine grosse Menschenmasse anzieht. Auch berichtete er bescheiden, dass er gar nichts anderes als immer schon gemacht habe, sondern schlicht und einfach, dass es Gott war, der gewirkt hat.


Vielleicht ist das der richtige Moment, um über das Wort 'quiet' in Quiet Revival zu reden. Wenn es hier um eine übernatürliche Erweckung geht, dann ist sie nicht laut. Sie geht still vonstatten. Das meinte auch Al Gordon, Pastor einer Kirche in Ost-London, die einen stetigen Zuwachs von jungen Menschen erlebt. Sie strömen nicht zu Tausenden an eine Zeltveranstatung, sondern tröpfeln Sonntag um Sonntag in den Gottesdienst. Trotzdem scheint klar: Gott ist am Wirken. Viele (junge) Menschen sind hungrig nach Leben, Sinn und dem Transzendeten. Es war ermutigend, all die Zeichen und Zeugnisse zu hören.


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Schweiz versus England? Und: Wohin bewegen wir uns kulturell?

Nun sprachen wir bisher von der Situation in England und Wales (die Studie der British Bible Society bezieht sich nur auf diese Länder). Wie ist das bei uns? Statistiken belegen bis jetzt keinen Zuwachs in unserer Schweiz (wie es in Deutschland oder Österreich ist, kann ich zu wenig sagen). Man hört Meldungen, dass sich das Quiet-Revival-Phänomen nicht auf die britischen Inseln allein beschränkt, sondern dass auch in Frankreich, Skandinavien und anderorts Aufbrüche zu verzeichnen seien. Rollt die Welle also erst noch auf uns zu?


Ich bin weder Prophet noch Wetterfrosch und möchte mich hier darum bedeckt halten. Dennoch sehe ich - und das ist jetzt rein subjektiv - gewisse Parallelen zur Situation in England. Jordan Peterson oder Tom Holland sind auch in gewissen Kreisen bei uns auf offene Ohren gestossen. Ihr Ton ist wie gesagt nicht mehr atheistisch und antichristlich. Vielmehr öffen sie wieder eine Türe zu unseren christlichen Wurzeln, indem sie zeigen, welche Ressourcen uns der christliche Glaube in der Vergangheit gegeben hat, resp. auch heute wieder geben könnte. Ich erlebe hier und da Menschen, die mit einer rein materialistischen Erklärung des Universums nicht mehr so viel anfangen können, weil eine solche Erklärung am Ende wenig Sinn und Erfüllung bereithält. Auch erzählen mir junge Menschen in unserer Kirche, wie ihre post-christliche Generation mit dem alten säkular-modernen Leben, das man ihnen bereit hält, nicht glücklich werden. Sie sehen die Situation anders, vielleicht drastischer als wir sie damals sahen, als wir jung waren: post-Corona, Klimakrise, politische Unruhen, generell eine polarisierende Kultur. Und in diesem Saatbeet suchen sie nach befriedigenden Antworten, sind offen auch für alte Pflanzen, die nicht erst seit gestern wachsen. In diesem Klima lässt es sich leichter über Gott und Jesus reden, als damals bei mir, als man mit dem Glauben zurückhaltender war. Und selbst eine 'Volkszeitung' wie 20 Minuten kann mit einem Artikel wie Religion-Hype: Immer mehr Junge gehen wieder in die Kirche auffahren, ohne dass es gleich komisch wirkt (auch wenn ich nicht weiss, wie sie diese Aussage statistisch belegen, ausser dass das Praisecamp mehr Jungendliche angezogen habe). Es gibt selbstverständlich immer noch Gegenbeispiele, solche Momente, wo es nicht gut möglich ist, über den eigenen christlichen Glauben zu reden, weil man sonst vielleicht seinen Job verliert. Das zeigt die Komplexität unserer derzeitigen kulturellen Situation.


Gleichzeitig zeigt die Spiritualitätskurve ständig nach oben, wenn sie es denn nicht schon immer getan hat. Wir Menschen sind einfach spirituelle Wesen, und dies selbst in einem säkularen Zeitalter. Es erstaunt mich immer wieder, wie meine sonst säkularen Freunde sich an schamanischen oder sonstwie neuheidnischen Ritualen beteiligen, weil sie dort etwas Transzendentes suchen, dass ihr gestresstes, modern-getaktetes Leben erhellen könnte. Sind die Menschen heute offener für den christlichen Glauben an Jesus?


Unser kulturelles Klima ist komplex. Falls Gott seinen Arm auch bei uns bewegen sollte, lohnt es sich, unsere Kultur besser zu verstehen und Antworten bereit zu haben. Was die gegenwärtige Suche nach Spiritualität betrifft, ist folgendes zu bedenken. Nur weil man sich heute nach spirituellen Erfahrungen ausstreckt, ist man noch lange nicht beim Gott der Bibel angelangt. Charles Taylor beschreibt 'säkulare Spiritualität' in seinem wichtigen Buch Das säkulare Zeitalter (über Taylor habe ich hier und hier geschrieben) generell als eine individualistische, patchworkartige und nicht-institutionelle Spiritualität, was er als Supernova-Effekt bezeichnete. Taylor wählte das Bild einer Supernova, weil aus einem einzigen „Stern“ – dem früher dominierenden christlich-theistischen Weltbild Europas – im Laufe der Neuzeit eine unüberschaubare Vielzahl neuer Sinn- und Lebensmodelle 'herausgesprengt' wurde. Dagegen ist die christliche Botschaft exklusivistisch: Jesus ist der Weg zum Vater - und sonst nichts und niemand. Exklusivität ist auch heute noch ein Anstoss, aber könnte es nicht trotzdem sein, dass die Menschen wieder offener auch für diesen Vorschlag sind? Michael Horton zeigt in seinem Buch Shaman and Sage zudem auf, dass die säkulare Variante 'spirituell aber nicht religiös' letztlich immer eine Saga der Selbstvergötterung suggeriert, auf Selbsterlösung basierend, indem sich das Individuum durch seine eigenen Werke zum Göttlichen vorschaffen muss. Die christliche Botschaft, dass Christus uns von all unseren Selbsterlösungsversuchen erlöst und dass sein Vater uns mit offenen Armen empfängt, auch wenn wir das Gefühl haben, wir müssten wie der verlorene Sohn unser Heil zuerst abarbeiten, könnte heute erneut seine befreiende Kraft entfalten, wenn Menschen diese Botschaft wieder hören und begreifen.


Die Zeit in der wir leben ist - ich wiederhole mich - komplex. Verschiedenste Narrative ringen um den ersten Podestplatz. Glen Scrivener fasste die Situation gut zusammen:

Unsere Kultur fragmentiert. Viele vertrauen weiterhin auf die Selbsterhaltungskraft postchristlicher, progressiver Ideale und sind überzeugt, dass das Christentum hoffnungslos (und vielleicht sogar gefährlich) rückschrittlich ist ... Gleichzeitig sind andere in unserer Gesellschaft des vermeintlichen „Tugendposierens“ der Progressiven überdrüssig und scheinen in ihrem Protest bereit zu sein, den Tugendbegriff gänzlich abzuschaffen. Parallel dazu erleben wir den Aufstieg des Islam und anderer spiritueller und religiöser Weltanschauungen. All dies geschieht gleichzeitig. (Übersetzung von GoogleTranslator und mir)

Scrivener spricht zwei prominente Strömungen an, die man auch (immer vereinfachend) als links und rechts bezeichnen kann. Die links-Progressiven verfolgen nach wie vor das Programm eines exklusiven Humanismus, die Verwirklichung einer gerechteren Zukunft und besseren Welt durch christliche 'Tugenden' (wie Gleichheit, Social Justice), jedoch losgelöst von Gott, Bibel und Kirche. Hier wird Gott und Religion eher als Hindernis oder gar Gefahr für dieses humanistische Projekt wahrgenommen. Diese linke Strömung kann nach wie vor laut schreien, auch wenn das Pendel mancherorts (nicht nur in Amerika) auf die andere Seite hin ausschlägt. Dieser Drift nach rechts heisst aber nicht zwingend, dass die Gesellschaft dadurch christlicher würde, nur weil gewisse 'konservativ'-christliche Werte aufgegriffen werden. Es wurde an der Konferenz mehrfach gemahnt, dass eine echte Erweckung nicht mit dem Auferstehen eines christlichen Nationalstaats (was auch immer das sein soll) gleichzusetzen ist. Genuine Erweckung meint das transformierende Wirken des Geistes an den Herzen der Menschen. (Quiet) Revival heisst dann weder das Bewahren eines Kulturchristentums noch das Setzen der Hoffnung auf einen christlichen Nationalstaat. Für das Erstere spricht sich dieser Artikel in Der Welt aus:

Westliche Werte sind weitestgehend christliche Werte. Umso wichtiger wäre ein Aufstieg des Kulturchristentums als Bewahrer ebendieser Werte, ohne die es keine freie Gesellschaft geben kann. Es muss auch niemand in die Kirche eintreten.

Die Erhaltung eines Kulturchristentums ohne Kirche und scheinbar ohne Gott (man kann darüber streiten, ob so etwas überhaupt ginge) ist nicht das, was wir brauchen. Es fragt sich nämlich, wie lange so ein Kulturchristentum ohne feste Verankerung im wahrhaft christlichen Boden bestehen könnte, hören wir doch auch schon die Stimmen, die in eine andere Richtung lotsen: 'Wir brauchen wieder maskuline (nietzscheanische) Stärke, um die Gesellschaft zu voranzubringen', oder so ähnlich tönt es manchmal wieder. Und den radikaleren Spielarten des Isalm ist es eigentlich egal, ob die Schwachen unter die Räder kommen oder nicht.


In diesem Sturm kann/soll die Kirche ein fester Hafen sein, in dem sowohl Männer wie auch Frauen ihren sicheren Platz finden können und lernen dürfen, was es heisst, Mann und Frau zu sein. Die Kirche ist auch nicht exklusiv links oder rechts. Sie ist für soziale Gerechtigkeit wie links, aber anders gefüllt. Sie ist für gesellschaftliche Ordung wie rechts, aber anders definiert. Sie bringt die Botschaft von Jesus Christus für alle, eine Botschaft, die alles transformiert. Die Kirche ist der einzige Ort, an dem links und rechts, weiss und schwarz, Mann und Frau, Diener und Herr unter dem Kreuz zusammenfinden können.


In dieser komplexen kulturellen Situation kann sich jede und jeder selbst ausmalen, wie die Zukunft für die Kirche in fünf, zehn oder zwanzig Jahren aussehen wird. Doch was wir immer wieder tun sollten und vielleicht gerade jetzt wieder mit mehr Mut tun dürften ist, unsere Netze auszuwerfen. Justin Brierley erinnerte an der Konferenz an die Story, als die Jünger die ganze Nacht versuchten, ihre Fische zu fangen und dabei nichts fingen. Am Morgen sagte Jesus simpel zu ihnen: Geht und werft euer Netz nochmals aus - und der Fang war gewaltig. Vielleicht sollten wir das auch tun und es dabei Gott überlassen, ob wir heute oder morgen bei uns den grossen Fang machen werden.


ree









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