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  • matt studer

Starb Jesus wegen mir? - Ein geschichtlicher Dialog (Intro)

Aktualisiert: 16. März 2022


Das Kreuz ist das zentrale Merkmal des Christentums. In vielen Kirchen steht es plastisch und visuell im Raum, um uns an die Jesus-Story zu erinnern. Menschen hängen sich ein Kreuz als Halsband um, weil sie sich damit identifizieren wollen, oder weil das Kreuz für sie ein bedeutungsvolles Symbol ist. Wir treffen es auf Grabsteinen an, als Fingerzeig auf die christliche Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Bekannt ist das Kreuz auch aus solchen Filmen, wo es in den Händen eines Priesters zur Abwehr dämonischer Angriffe hochgehalten wird. Oder wer kennt nicht das Gipfelkreuz, das einen nach einem strengen Bergaufstieg auf der Bergspitze erwartet? Das Kreuz ist präsent (obwohl sich heutzutage auch die Buddha-Figur aufdrängt). Doch warum ist es so wichtig für Christen?


Diese kleine geschichtliche Blog-Serie verfolgt das Ziel, im Dialog mit Theologen aus der Geschichte des Christentums der christlichen Bedeutung des Kreuzes auf den Grund zu gehen. Wenn wir vom Kreuz sprechen, dann sprechen wir von Jesus, seinem Sterben und implizit seiner Auferstehung, dem historischen Ereignis von Karfreitag und Ostern. Und wenn wir von der ‘christlichen Bedeutung' des Kreuzes reden, dann reden wir von einer theologischen Deutung des Kreuzgeschehens. In Teil I werfen wir darum einen Blick auf die frühe Kirche mit ihren wichtigsten Theologen. In Teil II springen wir weiter zur theologischen Diskussion über das Kreuz im Mittelalter und der Reformationszeit. Im dritten Teil betrachten wir Reaktionen auf die Reformation und ansatzweise die Weiterentwicklungen bis in die heutige Zeit.


Warum dieser Blick zurück? Erstens, weil spannend. Wer schaut nicht gerne Fotos aus alter Zeit an und vergleicht sie mit heute? Zweitens, weil wir nicht einfach zweitausend Jahre Interpretation des Kreuzes ausblenden können, so als wären wir heute aufgeklärter und informierter als alle anderen vor uns!


In der christlichen Interpretation des Kreuzes gab es im Allgemeinen immer drei sich ergänzende Perspektiven oder Schwerpunkte, die alle zusammen wichtig sind, um das Kreuz in seiner Ganzheit zu verstehen. Die eine Perspektive verstand das Kreuz als Siegessymbol. Darum wird diese Perspektive ‘Christus Victor’ genannt. Jesus besiegte und überwand am Kreuz alle gottfeindlichen Mächte, inklusive den Tod, und befreite uns von der Macht des Bösen und der Sünde. Eine weitere Perspektive, häufig mit dem Theologen Petrus Abaelard in Verbindung gebracht, sah im Kreuz eine Manifestation der unglaublichen Liebe Gottes, die uns dazu bewegt, uns ganz diesem Gott zuzuwenden. Diese Perspektive verstand das Kreuz auch als moralisches Vorbild, dem wir folgen, in dem wir ‘täglich unser Kreuz auf uns nehmen’ und uns hingebungsvoll für andere und für diese Welt einsetzen. Sie wird darum die 'moralische Perspektive' genannt. Die dritte Perspektive schliesslich interpretierte den Tod Jesu als stellvertretendes Sterben. Jesus starb an Stelle von anderen. Sie wird darum als ‘Stellvertretungsperspektive’ betitelt. Hier schwingt der Opfergedanke mit: ein unschuldiges Opfer nimmt den Platz eines anderen ein und trägt die Konsequenzen, die dieser andere eigentlich hätte tragen müssen.


In relativ neuerer Zeit (siehe dazu dann ‘Teil III: Die Bedeutung des Kreuzes bis in die Gegenwart’) büßte die Stellvertretungsperspektive außerhalb und sogar innerhalb der evangelikalen Bewegung stark an Glaubwürdigkeit und Prominenz ein. Christus Victor und die moralische Perspektive dagegen blieben in der einen oder anderen Form erhalten und wurden neu aufgewertet. Aus diesem Grund werden wir uns in dieser Serie auf die Stellvertretungsperspektive fokussieren. Unsere Reise in die Vergangenheit soll uns helfen zu sehen, dass der Tod Jesu am Kreuz im christlichen Mainstream bis in die jüngere Vergangenheit immer auch als stellvertretender Opfertod verstanden wurde. Damit will ich die beiden anderen Perspektiven und ihre Gültigkeit keinesfalls abwerten. Ich möchte nur dazu aufrufen, dass wir die Stellvertretungsperspektive nicht aufgeben, auch wenn sie heute aus verschiedenen Gründen nicht mehr so passend oder zuweilen sogar unbequem geworden ist.



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