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matt studer

Die reformatorischen Solas im Kopfstand

Aktualisiert: 1. Nov. 2021


Wie würde es sich anfühlen, die fünf Solas der Reformation (siehe die beiden letzten Beiträge hier und hier) mal ganz bewusst auf den Kopf zu stellen und zu fragen, was geschehen würde, wenn nicht 'Gott allein die Ehre, nur Christus, nur durch Gnade, nur durch den Glauben, nur die Bibel' gelten würden? Mit anderen Worten, was könnten die Folgen für unseren Glauben sein, wenn wir die Solas aufgeben würden, wenn etwas oder jemand anderes das entstandene Vakuum füllen müsste?


Sola Welt? Oder ist Gott nur ein kleiner Fleck auf unserer spirituellen Landkarte?

Es stimmt mich manchmal nachdenklich bis traurig, wenn ich Christen miteinander reden höre (und ich muss mich leider zu häufig auch dazu zählen) und es dabei ganz wenig um Gott geht. Was ist gerade spirituell in Mode? Atemübungen, Achtsamkeit, der neue minimalistische Lebensstil, ein kontemplativer Lebensstil, Gedanken-Detox, Enneagram, Klima-Aktivismus, das innere Kind umarmen, und und? Bewusst plakativ ausgedrückt, sind das alles schöne und gute Dinge, die 'in der Welt' vorkommen. Aber der biblische Gott kommt dabei nur marginal, oder dann als Secondhand-Gedanke vor. Ich habe nichts gegen unsere Welt. Ich lebe in ihr, ich geniesse sie. Ich erlebe Gott manchmal in der Musik (wenn sie gut genug ist) und häufig in der Natur. Gott schuf diese Welt. Alles was wir sehen, essen, riechen, lernen, geniessen, weist letztlich auf ihn hin und gibt uns die Möglichkeit, ihm dafür zu danken. (1 Tim 6,17b). Doch reicht all dies eben nicht, um Gott wirklich und wahrhaftig zu kennen (Röm 1,20-21). Wenn es um christliche Spiritualität geht, möchte ich es mit Karl Barth so ausdrücken: 'Gott ist der ganz Andere.' Gott offenbart sich so anders, so exklusiv. Eine reformatorische Spiritualität ist exklusiv in dem Sinne, dass sie Gott primär auf den Kanälen begegnen will, die Gott selbst dafür geschaffen hat: dem Wort der Bibel und der biblischen Predigt, dem Abendmahl, in der christlichen Gemeinschaft und im Gebet. Wir könnten hier von einer 'Spiritualität von oben' sprechen. Ganz im Gegensatz zu einer Spiritualität von unten, einer weltlichen Spiritualität. Denn Atemübungen gibt es auch in buddhistischen oder säkularen Meditationen. Positives Denken wird in zig verschiedenen Settings geschult. Innere Heilung ist neuerdings in 10 Minuten erhältlich, egal welchen Gott man dabei bekennt [guck hier]. Spiritualität von oben dagegen sollte immer irgendwie eigen sein und irgendwo anecken. Sie sollte sich von dem unterscheiden, was die Welt anbietet und praktiziert. Wie könnte sie anders, wenn sie 'direkt' von oben kommt?


Ich möchte Gott first-hand begegnen. Es funktioniert nicht, eine 'weltliche' Erkenntnis zu nehmen und sie mit Jesus anzureichern. Wenn ich etwas Zucker über einen Salzbrezel streue, verwandelt er sich nicht in einen Donut! Es gelingt nicht, sich Gott irgendwie innerlich auszumalen. Zu schnell male ich sonst (m)ein Wunschbild von ihm. Nein! Ich will Gott direkt und ungefiltert haben. Und um ihn wahrhaft zu kennen, halte ich mich an das Bild, das die Bibel zeichnet und an die Parameter, die sein Wort mir dazu vorgibt (Sola Scriptura). Denn diese Welt vergeht, aber Gottes Wort hat ewig Bestand (Mt 24,35). Spirituelle Trends kommen - spirituelle Trends gehen, aber Gott bleibt derselbe. Ich glaube, wir geben Gott die Ehre (Soli Deo Gloria), wenn es in unserem Glauben vor allem um ihn, sein Evangelium, seine Pläne und Gedanken, seine Perspektive, seine Geschichte mit dieser Welt, sein Werk und Wirken, wie es in der Bibel offenbart ist, geht, so dass Atemübungen höchstens noch präparativen Charakter haben.


Ist reformatorische Spiritualität gegen irdische Schönheit, körperliche Ausdrucksformen oder bacchische Gaumenfreuden? Reden wir hier von einer gnostischen Neuauflage, bei der die materiell-irdische gegenüber der spirituellen Welt degradiert wird? Nicht wirklich. Essen, Feiern, Fasten - all das und viel mehr findet Einzug in diese Spiritualität. Jedoch immer in Bezug auf Gottes Realität, die unser ganzes irdisches Menschsein transformiert.

Wenn jemand bestimmte Tage besonders beachtet, tut er das, um den Herrn zu ehren. Genauso ist es bei dem, der alles isst: Er tut das, um den Herrn zu ehren, denn für das, was er isst, dankt er Gott. Und auch der, der bestimmte Speisen meidet, tut das, um den Herrn zu ehren; auch er isst nichts, ohne Gott dafür zu danken. (Röm 14,6)

Sola Mensch? Oder was wäre, wenn der Mensch und nicht Gott im Zentrum stünde? Wir haben es gemerkt, reformatorische Spiritualität ist radikal Gott-zentriert. Gott vollbringt alles, aus nichts! Wie finden wir das? Ich glaube, dass der Mensch öfters mal Mühe damit bekundet. Einzusehen, dass nicht er der Bauchnabel der Welt ist, insbesondere wenn es um sein spirituelles Leben geht. Da möchten wir doch sehr gerne selber etwas tun und selber mitbestimmen. Selbstverwirklichung, Selbstrealisation, Self-Help, Self-Improvement, Self-Healing. Gab es solche Worte früher schon? Auf jeden Fall ist Gott auf unseren Selfies häufig nicht im Bild, oder wenn, dann nur als Background-Sänger. Der Ursprung dieses Problems liegt weit vor dem Selfie-Zeitalter, bei Adam und Eva. Schon die ersten Menschen empfanden einen inneren Drang zur Selbstbestimmung. Danach, sich unabhängig von Gott zu bewegen, unabhängig von seiner Meinung zu entscheiden. Gott liess sie zunächst gewähren und sie trugen darauf die Konsequenzen: sie schämten sich (Gen 3,7; vgl. mit Gen 2,25). Aber dann handelte ER, indem er ihre Scham mit den allerersten Klamotten der Menschheitsgeschichte, 'Marke Divine', einkleidete (Gen 3,21). Von wegen Self-Help (was geschah denn mit den Feigenblättern, die Adam und Eva für sich anfertigten?). Dies war ein göttlicher Wink mit dem Zaunpfahl, dass die kommende Rettung nicht menschengemacht sein würde. Aber leider ist uns seit diesem Vorfall im Paradies Selbstbestimmung eingeimpft. Es braucht nicht einmal eine Impfkampagne dafür. Jeder Mensch glaubt fest und instinktiv, dass er sich selbst heilen, selbst erlösen, ganz machen, weiterbringen und vollenden kann (und muss).


Unsere Selbsterlösungsversuche können verschiedene Formen annehmen. Da gibt es den asketisch-monastischen Impuls, bei dem man mittels geistlichen Übungen zu Gott aufsteigen möchte. Nenne es geistliches Leiterklettern, Bergbeklimmen oder Auffahren. Immer liegt das Weiterkommen und der Erfolg am menschlichen Wollen, besonderem Effort oder spezieller Begabung. Da gibt es all diese Formen von Spiritualität, die nach innen schauen, um die (Er)Lösung in den Tiefen des Menschlichen zu finden. Da muss es doch irgendeine (göttliche) Ressource im Menschen geben, die man anzapfen könnte, irgendein Glimmen oder eine Erinnerung, die uns aus unserem jetzigen Zustand raus katapultieren könnte. Dann gibt es die absteigenden Spiritualitäten, die von sich weg auf die Not und das Leiden der Welt sehen, sich in diese Not hineinwerfen, um zu helfen, zu lindern und für Gerechtigkeit einzustehen. In den Hintergrund gerät dabei das erlösende Wirken des biblischen Gottes, der letztendlich Gerechtigkeit wiederherstellen und Wohlstand und Heilung schaffen wird. Hier übernimmt der Mensch das Ruder, um die Welt zu erlösen - und vergisst dabei, dass er selbst erlösungsbedürftig wäre. Zuletzt sind da all die säkularen Varianten von Selbstkomplettierung zu nennen, die vordergründig nicht spirituell wirken, aber in ihrer Tiefenmuskulatur eine 'spirituelle' Dynamik aufweisen. Ist es nämlich nicht so, dass wir Menschen ständig daran sind, etwas aus unserem Leben, unserer Karriere, unseren Beziehung und uns selbst zu machen, so dass unser Leben sinnerfüllt und komplett wird? Spielt nicht dabei häufig ein tiefsitzendes Manko mit, dass man so, wie man ist, noch nicht gut genug, noch nicht fertig, noch nicht würdig genug ist? Das Dilemma ist: wir basteln an unseren Feigenblättern herum und merken dabei, dass es eben Feigenblätter bleiben, egal wie ausgeschmückt oder ausgeklügelt wir sie tragen!


Wenn nicht Gottes Gnade uns unwiderstehlich ergreift, wie es die Reformatoren treffend ausdrückten, liegt es an uns. Und wenn der Mensch Gott vorauseilen will, kehren wir die Dynamik des Sola Gratia um, stellen sie auf den Kopf. Was passiert dabei? Wir generieren eine profitorientierte Spiritualität, in irgendeiner Form. Ich investiere - ich erhalte. Ich gebe aus - ich bekomme zurück. Dabei kann ein geistliches Unsicherheitsklima entstehen. Bin ich mir sicher, ob Gott mich wirklich annimmt, ob meine Performance genügt? Bin ich wirklich zufrieden damit, wie ich bin und wo ich im Leben stehe? Oder bin ich von einem ständigen 'noch höher, noch weiter, noch mehr' getrieben? Kann ich wirklich in Christus ruhen und sagen, dass alles bereits vollbracht ist? Oder lebe ich mit einem nagenden Grundgefühl der Unzulänglichkeit, Minderwertigkeit und mit einem Schuld- und Schamgefühl? Natürlich kann ich Gott ausblenden. Ich kann mir einreden, dass ich mich nur selbst genug lieben muss und dass ich mir selber vergeben kann. Was aber, wenn das nagende Grundgefühl bleibt?


Das Problem wird überdimensional verstärkt, wenn das persönliche Sündenbewusstsein zunimmt. Denn je näher wir zu Gott kommen, desto mehr merken wir, dass wir eigentlich nicht genügen, dass unsere Performance nicht langt und unsere Feigenblätter Kleider von minderwertiger Qualität sind (vor allem in den Augen Gottes)! Dann können wir in das Klagelied des Propheten mit einstimmen: 'Wehe mir, ich vergehe in der Gegenwart Gottes! Denn ich bin unrein und unwürdig vor meinem Gott zu stehen!' (Jes 6,5 paraphrasiert). Wie viel grösser erscheint uns dann die Gnade Gottes, der uns gratis und franko annimmt, weil Christus für uns schon alles vollbracht hat! Daraus folgt nicht, dass wir gar nichts tun. Dass Christsein eine rein passive Angelegenheit ist, ein müdes Abwarten bis man in den Himmel kommt. Falsch! Wir laufen ein Rennen. Aber wir laufen dieses Rennen mit dem Rückenwind von Sola Gratia, als Antwort auf Gottes Gnade.


Das Evangelium ist eine gute Nachricht, kein guter Ratschlag! Es sind nicht wir, die zu Gott hochsteigen. ER kam zu uns hinunter. Nicht wir tragen den Funken der (Er)Lösung schon in uns, denn Rettung wird uns nur in CHRISTUS zuteil. Wir sind letztendlich nicht im Stande, diese Welt in ihren paradiesischen Zustand zurückzubringen, denn CHRISTUS muss dies tun. Und, egal wieviel wir leisten und erreichen, wir werden uns nie vollendet fühlen, solange unsere Identität nicht in CHRISTUS gegründet ist. Reformatorische Spiritualität startet nie bei unseren Möglichkeiten und Erfindungen, sondern immer bei Gottes Liebe und Gnade. Denn Gott hat uns so sehr geliebt, dass er seinen eigenen Sohn für uns gab, damit wir durch IHN wahres und ewiges Leben haben (Joh 3,16).


Sola Buena Vista? Oder was wäre, wenn es nur um das ginge, was ich sehen und an-fassen kann? Wir sind visuelle Wesen. Und wir leben in einer Zeit der Bilderflut, nicht des Bildersturms. Nichtsdestotrotz ist das Ohr das erste Organ, mit dem ein Embryo Kontakt mit seiner Aussenwelt aufnimmt. Wir hören bevor wir sehen können! Dasselbe gilt in Bezug auf unser geistliches Leben. Noch sind wir Hörende, dann aber werden wir mit unseren Augen sehen. Doch wie schwer uns das fällt! Der Mensch ist so sehr vom Bedürfnis eingenommen, etwas anfassen zu müssen, damit er glauben kann. Sei es ein goldenes Kalb, eine Götzenfigur, oder, im Falle des Jüngers Thomas, den auferstandenen Körper von Jesus. Scheinbar geben uns visuelle und haptische Erfahrungen ein Gefühl der Sicherheit und Verlässlichkeit. Selbst die Bibel räumt ja ein, dass wir eines Tages eine visuelle Sicht der geistlichen Dinge haben werden. Dass wir Jesus von Angesicht zu Angesicht sehen werden (Offb. 22,4). Was heisst das anderes, als dass unser jetziger 'Zustand' noch nicht ideal ist, noch nicht vollendet, noch nicht so wie er sein sollte. Bitte achtet dies als ein reformatorisches absolutes JA zur visuellen Realität (wir sind auch nicht gegen visuelle Kunst oder so) - in der richtigen Reihenfolge: zuerst hören, dann sehen! Halt so ganz anders, als wir es unseren Kinder beim Überqueren der Strasse beibringen: zuerst "luege", dann "lose" (und dann "laufe")!


In der Jetztzeit aber laufen wir im Glauben. Wir ergreifen die geistlichen Realitäten nicht durch anfassen, nachbilden oder direkten Augenkontakt, sondern nur durch unser 'Schauen' im Glauben (warum gibt es dazu eigentlich keine Kurse?). Selbst das Abend-mahl, etwas, das wir anfassen und sogar schmecken können, weist in seiner geistlichen Bedeutung weit über sich hinaus. Warum nimmt Gott einfaches Brot und Tafelwein und nicht kompliziertere Speisen, um sein Evangelium zu veranschaulichen? Ich glaube, weil er unseren Glauben herausfordern will. Die unendlich tiefe Welt, die sich im Abendmahl in der Gemeinschaft mit Christus auftut, ist eine Welt, zu der man nur durch den Glauben Zutritt hat.


In der Jetztzeit laufen wir im Hören. Wir haben es schon erwähnt, das Evangelium ist eine gute Nachricht. Eine Nachricht hören wir. Vielleicht ist Hören so wichtig, weil wir dabei still werden müssen. Nicht WIR reden. Wir hören und empfangen.


Je mehr sich unser Christsein ins diesseitig Sichtbare verlagert, desto mehr verlieren wir den Zugang zu unserer wahren geistlichen Heimat. Desto weniger sind wir in Kontakt mit dem Gott, der uns sagt, 'selig sind, die nicht sehen und doch glauben' (Joh 20,29). Wir halten uns dann lieber an sichtbaren Strukturen, Menschen oder Veranstaltungen fest. Wir suchen dann nach geistlichen Praktiken, die körperlicher und visueller sind, nicht so wortlastig. Eine reformatorische Spiritualität hat nichts gegen solche Praktiken wie fasten, hinknien, singen, Hände heben, tanzen usw. - im Gegenteil. Doch will sie auf die Gefahr hinweisen, dass solche Praktiken sehr schnell mechanisch und beziehungsleer werden können, wenn nicht der Glaube sie 'geistlich füllt' und es darum geht, dass wir durch diese Praktiken Gemeinschaft mit dem Gott geniessen, den wir (noch) nicht sehen.


Christlich (reformatorischer) Glaube ist nun mal stark himmlisch orientiert. Wir warten ja schliesslich noch auf unsere himmlische Heimat, auf die Wohnung, die Jesus für uns vorbereitet (Joh 14,2). Je mehr sich unser Fokus von himmelwärts auf diesseitig-irdisch verlagert, desto mehr werden wir uns um irdische Dinge sorgen. Ich sehe dies beispielsweise unterschwellig darin, wenn soziologische oder psychologische Überlegungen biblische Theologie verdrängen. Wenn es nur noch darum geht, was für unsere Gesellschaft relevant ist, anstatt was für Gott zählt. Oder wenn unser Engagement für eine besser Welt unsere Sicht und unser Warten auf den Himmel überlagert. Und auch dann, wenn es in unserem christlichen Leben vor allem um unsere materiellen, irdischen Nöte und Sorgen (und um körperliche Heilung?) geht und weniger um Gottes Agenda und seinen Plan mit uns und dieser Welt. Dass er uns erwählt hat und uns alles zum Besten dienen lässt, damit wir immer mehr in das Bild seines Sohnes verwandelt werden (Röm 8,28).


Solus Christus plus? Oder was wäre, wenn wir neben Christus noch etwas anderes bräuchten? Es gibt ein Überangebot an Orten, Menschen, oder Methoden, die uns Erlösung anbieten. Manchmal kommen sie in einem christlichen Gewand daher. Christlich, ja, aber Christus plus etwas anderes. Darf es ein Kraftort sein, eine bestimmte Kirche, eine gewisse Veranstaltung? Du musst dahin gehen, dann wirst du Gottes Gegenwart auf eine spezielle Art und Weise erleben. Oder darf es ein charismatischer Redner, Musiker, ein speziell Gesalbter, oder sogar ein Priester oder Heiliger sein, der uns 'Gott vermittelt'? Muss man ein bestimmtes Buch lesen, eine bestimmte Methode verfolgen, sich an ein vorgegebenes Schema halten, damit man geistlich vorankommt? Natürlich gibt es begabte Menschen, schöne und berührende Orte, einen Geist-erfüllten Gottesdienst, hilfreiche Methoden. All diese Dinge können uns entscheidende Inputs geben. Aber sie können uns auch vom Wesentlichen ablenken.


Es ist paradox und irgendwie traurig. Wir starten unser Christenleben meistens mit einer grossen Liebe zu Jesus. Wir sind ergriffen und begeistert vom Evangelium, von dem, was Gott durch Christus für uns getan hat. Aber dann meinen wir, weitergehen zu müssen, zu neuen Dingen und Taten, trendigen Lehren und erwachsenen Inhalten. Und so langsam emanzipieren wir uns von dem, was uns am Anfang so begeisterte. Dazu schrieb der Apostel Petrus den christlichen Gemeinden seiner Zeit diesen so erhellenden Satz: 'Lasst stattdessen euer Leben immer mehr von der Gnade bestimmen und lernt Jesus Christus, unseren Herrn und Retter, immer besser kennen.' (2Petr 3,18) Können wir je über Jesus und sein Evangelium der Gnade hinausgehen? Egal ob frischbekehrt oder altgläubig, es geht doch eigentlich immer (noch) darum, Jesus besser zu kennen, tiefer zu lieben, ernsthafter anzubeten. Es ist unmöglich, den Reichtum zu erschöpfen, den wir in Christus haben (Eph 3,8). Denn in ihm sind alle Schätze der Weisheit verborgen (Kor 2,3). Er ist das wahre Abbild Gottes, leuchtend in seiner göttlichen Herrlichkeit (2 Kor 4,4). Wie könnten wir je genug von ihm kriegen? Wie könnten wir unsere (glaubenden) Augen je von ihm abwenden?


Sola Literatura? Oder was wäre, wenn die Bibel ein Buch wie jedes andere wäre?

Tja. Wenn die Bibel einfach ein Stück Literatur wäre - selbst Weltliteratur - würde sich massiv viel ändern! Alles wäre anders!


Wenn die Bibel ein rein menschliches Buch wäre, dann könnte ich nie und nimmer mein ganzes Glaubensleben auf ihr aufbauen. Wieso sollte ich den biblischen Autoren mehr Vertrauen schenken als meinem Pastor, meinem Guru, oder mir selbst? Wenn die Bibel ein rein menschliches Buch wäre, dann wäre sie zwar inspirierend, aber nicht inspiriert. Sie könnte mich durch all die Berichte von Männern und Frauen des Glaubens ermutigen und herausfordern. Dennoch blieben es Buchstaben und was ich damit mache. Nur wenn die Bibel durch Gottes Geist eingegeben ist (2. Tim 3,16), ist sie lebendig. Nur dann begegne ich Gott persönlich. Wenn die Bibel ein rein menschliches Buch wäre, müsste ich mich ihrem Anspruch nicht stellen, mich nicht von ihr korrigieren lassen. Ich könnte dann fröhlich die Verse rauspicken, die mich persönlich ansprechen und alle unbequemen Passagen sorglos aus meinem spirituellen Repertoire streichen.


Wenn die Bibel einfach ein Stück Literatur wäre, dann wäre alles anders. Kein Stein des Glaubens bliebe auf dem anderen. Wohin sollte ich meinen Anker auswerfen? Woran mich festhalten? Wie würde Gott zu mir reden, so dass ich die Gewissheit habe, dass ER es ist? Nein, ich bringe den Glauben nicht auf zu glauben, dass die Bibel ein rein menschliches Buch ist. Sie ist zu anders als jedes menschliche Buch. Zu genial, zu tief, zu hoch, zu göttlich! Wenn ich die Bibel wirklich ernst nehme in dem, was sie über sich selbst sagt, bleiben mir eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder anzuerkennen, 'hier spricht Gott' - und zu glauben. Oder aber zu sagen, 'Ja, hier spräche Gott' - aber meine Ohren zuzuhalten und meine eigenen Wege zu gehen.


Mein vorläufiges Schlusswort zu den Solas:

Ich bin mir bewusst, dass mit den Solas lange nicht alles gesagt ist, was es zu einer reformatorischen Spiritualität zu sagen gäbe. Nun steht erst mal das Gerüst des Hauses. Es darf weitergebaut werden. Oder, um noch ein anderes Bild zu nehmen: Stellen wir uns vor, die Solas seien wie die Gelenke eines Körpers. Wenn alle Gelenke gut funktionieren, bewegt sich der Körper reibungslos. Aber wenn auch nur eines der Gelenke beeinträchtigt ist, gerät die Bewegung ins Stocken. Dabei haben wir den Körper noch nicht definiert: was ist sein Herz, was sein Kopf, was seine Beine? Ich darf später und an anderer Stelle darauf eingehen, so Gott will (vgl. Jak 4,15).


Wir haben also die Solas auf den Kopf gestellt. So so la la, oder solässig? Ich persönlich stelle immer wieder eines fest: Wenn ich Gott so begegne, wie er mir begegnen will, wenn ich mein geistliches Leben aus seiner Hand empfange und nicht selber an meinen Feigenblättern herumbastle, wenn mein Glaube durch die Schrift und die Gemeinschaft mit Christus gestärkt wird - dann habe ich wahres geistliches Leben, reale Freiheit und tiefen Frieden.


Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden. (Joh 3,30)











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