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  • matt studer

Das Drama der Theologie - Im Gespräch mit Kevin Vanhoozer


Anmerkung der Redaktion: Diese Gedanken sind als eine Art Sequel zu meinem früheren Beitrag 'Wozu Theologie?' einzuordnen. Mein 'Gesprächspartner' dabei war Kevin Vanhoozer, dessen Buch 'The Drama of Doctrine' mir dabei geholfen hat, diese wichtige Frage weiter zu durchleuchten.


Wenn man vom Nutzen und der Rolle von Theologie für die Kirche von heute spricht, wird man mit unterschiedlichen Reaktionen konfrontiert. Während Theologie für die einen nützlich aber nicht unbedingt essentiell ist, ist sie für die anderen sogar gefährlich oder glaubenshindernd. Solche Reaktionen haben häufig ein selbstoffenbarendes Element in sich. Wird das Kirchenleben primär als ein Betrieb verstanden, der organisiert werden will und der funktionieren muss, hat man wenig für theologische Überbauten übrig. Nennen wir dies mal die pragmatische Reaktion. Der Theologe Kevin Vanhoozer beschreibt dies so:

[Theologie] bleibt am Rande des Kirchenlebens, der schwächere Bruder von Programmen und Produkten, die uns numerischen, finanziellen oder psychologischen «Erfolg» versprechen.

Für andere bedeutet Christsein vor allem ein (innerliches) Erleben - eine Erfahrung der Gegenwart Gottes im Lobpreis, oder sein Reden in Zeiten der Stille. Dabei lenkt Theologie doch nur vom Wesentlichen ab - dem realen Erlebnis, dem Gefühl, dem Präsent Sein im Augenblick. Wir können dies als die empirische Reaktion bezeichnen.


Ist es nicht krass, wie weit wir uns von Martin Luthers Haltung «Hier stehe ich, ich kann nicht anders!» entfernt haben? Für was stand Luther denn, ausser für gutes (deutsches) Bier und pointierte Sprüche? Luther stand für das Evangelium, das er als 'gefährdet' sah - gefährdet durch das mittelalterliche, römisch-katholische 'Erlösungssystem', theologisch verstanden. Und wie verstand Luther das Evangelium? Etwa als gutes Gefühl oder als lässiges Programm? Natürlich nicht. Martin Luther wurde auf den Wormser Reichstag eingeladen, um sich theologisch zu rechtfertigen (vor Gott war er nämlich schon durch Christus gerechtfertigt). Seine 'Standhaftigkeit' brachte zum Ausdruck, dass er nicht hinter seine theologische Überzeugung zurückgehen wollte und konnte. Er war überzeugt von der Richtigkeit des Evangeliums, wie es in der Bibel offenbart ist - und er war bereit, dafür zu kämpfen!


Für was stehen unsere Kirchen heute? Es macht nämlich wenig Sinn, für etwas hin-zustehen, wenn man gar keinen Standpunkt zu vertreten hat. Für ein subjektiv erfahrenes Gefühl der Gegenwart Gottes tritt man keinem auf die Füsse. Und wenn die Kirche nur ein Betrieb ist, der funktioniert, tut sie keinem weh. Wenn aber die Kirche aufsteht und sagt, was eigentlich die unaufgebbare Wahrheit des Evangeliums wäre, dann begäbe sie sich auf gefährliches Terrain. Etwas plakativer formuliert: wenn die Kirche nicht nur Erfahrung und Programme zu bieten hat, sondern (theologisch) absolute Wahrheiten verkündet, dann eckt sie an, dann wir sie greifbar und angreifbar. Warum? Weil eine theologische Wahrheit nie inhaltsleer daherkommt - und über Inhalte wird nun mal gestritten. Man beobachte nur die Gender-Kontroverse oder die Klimabewegung. Da geht's um Inhalte, da geht's um eine Story - und ich würde sagen, die Gefühle, die dabei wachgerufen werden, sind stark an diese Story geknüpft.


Jetzt steht Vanhoozer auf (kann er nicht anders?) und plädiert für eine Rehabilitierung von Theologie in der Kirche. Dass Theologie (wieder) eine unerlässliche Dimension des christlichen und kirchlichen Lebens werden muss, damit wir Christen dazu ausgerüstet werden, ‘in Christus zu wachsen’ (Eph 4,15) und dazu befähigt werden, ‘jedes gute Werk zu tun’ (2 Tim 3,17). Dass die Kirche sich wieder stärker auf den (theologischen) 'Inhalt' ihres Glaubens besinnen solle, damit sie etwas zu sagen und zu geben hat. Und er meint, dass dieser Inhalt fundamental dramatischer Natur ist - und dass Theologie demzufolge eine 'dramatische Angelegenheit' sei. Was ist damit gemeint?


Vanhoozer sagt dies plus noch so einiges anderes auf über 450 Seiten! Ich fasse die (für mich) drei wichtigsten Punkte kurz zusammen:

  • Es geht um den Inhalt der Theologie: das von Gott inszenierte und performte Drama des Evangeliums.

  • Es geht um die Rolle der Theologie: ein Formulieren und Übersetzen des Evangeliums ins Leben und die Praxis der Kirche heute.

  • Es geht um das Baumaterial der Theologie: Die Bibel ist halt doch ein wichtiges Buch - sie ist das Skript für Theologie und für das christliche Leben.


Also. Was ist der Gegenstand, der eigentliche Inhalt von Theologie? Womit befasst sich Theologie, wenn nicht mit Endzeitszenarien oder Namensregister? 'Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit eigenen Augen gesehen haben, das verkündigen wir euch' (1. Joh 1,1-3). Theologie handelt vom Theo-Drama, wie Vanhoozer dies nennt. Von dem, was Gott in Christus für uns (seine Kirche) getan hat. Warum Theo-Drama? Weil es hier um eine Story geht und nicht um abstrakte, philosophische Spekulation - und weil Gott in dieser Story Regisseur plus Hauptdarsteller ist. Er plant das ganze Drama von Schöpfung, über Erlösung, bis zur Vollendung - und er performt es auch. Um dies besser zu verstehen, hilft es, sich einmal vorstellen, wie es aussähe, wenn Gott es ganz anders gemacht hätte. Wenn er sich nicht in Raum und Zeit, als Mensch aus Fleisch und Blut gezeigt hätte. Wenn er einfach ein paar Menschen innerlich erleuchtet hätte - und diese dann von ihrer Erleuchtung berichtet hätten. Wenn er einfach irgendwie 'da wäre', als liebende Kraft oder guter Wille - aber nicht so ganz fassbar als Person, die in Raum und Zeit gehandelt hat. Oder wenn 'das Göttliche' letztlich schon 'in uns' wäre und wir es lediglich in uns zu entdecken bräuchten. Wie strategisch anders aber zeigte sich der biblische Gott: 'Was wir gehört haben, was wir mit eigenen Augen gesehen haben' - ja sogar 'was wir angefasst haben' (der Apostel Thomas, der Jesus an die Seite fasste, um sicher zu sein, dass es Jesus war - Johannesevangelium 20,19-29). Der wahre Gegenstand der Theologie ist nicht zuerst eine gemachte Erfahrung, eine innere Erleuchtung, philosophische Spekulation oder sonst irgendein Guetzli - sondern die Story von Jesus von Nazareth. Eine dramatische Story - eine performte Story mit Inhalt!


Wenn der Inhalt also das Drama ist, was ist dann die Rolle der Theologie? Man könnte sagen, Theologie ist eine menschliche (und göttlich 'durchwirkte'!) Antwort auf die göttliche Performance, das 'Gehörte' und das 'Gesehene'. Sie bemüht sich zuerst einmal um eine Formulierung: was ist da passiert? Was hat Gott in Christus für uns getan? Und sie ringt um die Bedeutung des Dramas für uns. Nicht in blutleerer Manier wie ein Wirtschaftsprüfer, nein! Eher wie ein Sportreporter, der sich über den Sieg 'seiner' Mannschaft freut. Lebendige Theologie führt unweigerlich zu Anbetung (siehe dazu meinen Post 'Wozu Theologie?'). Dramatische Theologie steht zudem vor der eminent wichtigen Aufgabe, die Kirche auf der performten Grundlage des göttlichen Dramas zum aktiven Sein und Handeln in dieser Welt anzuleiten. Denn als Christen und Kirchen bleiben wir nicht passive Zuschauer. Wir werden in die Story hineintransportiert - Gottes Story wird zu unserer Story. Als Kirche werden wir geprägt vom Evangelium. Und als Kirche verkünden wir das Evangelium und handeln wir im Sinne des Evangeliums. Man muss sich das wie ein Improtheater vorstellen. Der Hauptakteur, Gott, hat in Christus die entscheidende Handlung bereits performt. Jetzt aber ruft er als Regisseur die Kirche auf die Bühne, damit sie auf dem bereits gelegten Grund weiter vorwärts improvisiert - immer kongruent mit der Vorlage. Vanhoozer meint dazu:

Theologie gleicht den Bühnenanweisungen [eines Regisseurs] für die Performance der Kirche im Sinne des Evangeliums.

Eine solche Theologie ist also nicht (nur) theoretisch, sondern vielmehr theatralisch. Nicht abstrakt, sondern dramatisch! Da gäbe es mehr dazu zu sagen. Ich verweise auf die 450 Seiten.


Spätestens jetzt stehen wir vor einem Problem. Denn wir können nicht mit den Aposteln bezeugen, 'gesehen und gehört' zu haben. Wir sind Dritte im Bunde und haben keinen direkten Zugang zum göttlichen Drama. Als Dritte sind wir abhängig vom Zeugnis der Zeitzeugen - wir sind also angewiesen auf die Bibel. Vanhoozer bezeichnet die Bibel als das göttliche Drehbuch oder Skript. Die Bibel handelt vom göttlichen Drama. Darum ist die Bibel das unerlässliche Baumaterial von Theologie - ihre ultimativ wichtigste Quelle. Wie sonst hätten wir Zugang zum Evangelium? Wie sonst würden wir Gottes Story im Spiegel der Schrift sehen und hören können? Auch wenn wir dabei Dritte sind, der so gross erscheinende Unterschied zu den Aposteln ist dann gar nicht mehr so gross. An dieser Stelle eine weitere Anmerkung der Redaktion: uns Evangelikalen wir häufig vorgeworfen, dass wir ein Buch vergöttern würden! Klar, Irrtumslosigkeit, Inspiration oder Autorität klingen nicht hip. Doch geht es im ultimativen Sinn nicht um dieses Buch, sondern um den Gott, der sich in diesem Buch so dramatisch offenbart. Niemand kniet vor diesem Buch nieder. Aber wir knien vor diesem Gott, dessen Story und Person wir in der Bibel so dramatisch offenbart finden.



Wozu ist Theologie gut? Antworten wir mit einer Gegenfrage: was würde passieren, wenn Theologie ihren Posten aufgeben würde, um in der Wüste Gobi ihr Dasein zu fristen? Die Kirchen würden zwar vielleicht äusserlich noch funktionieren, aber ihres Glaubensinhalts entleert, keine wirkliche Identität mehr besitzen und keine wirkliche Stossrichtung mehr haben - und so ohne Ecken und Kanten, ohne Inhalt und klares Ziel, früher oder später im Mainstream aufgehen. Vielleicht würde ihre Antriebskraft mit der Zeit abnehmen. Vor allem dann, wenn es pragmatisch gesehen 'bessere', 'zeitgemässere' oder 'günstigere' (sprich 'bequemere') Alternativen gibt. Die Menschen würden immer noch Erfahrungen 'mit Gott' machen. Doch würden diese Erfahrungen, ohne (theologische) Konturen und Inhalt wenig Ausstrahlungskraft 'nach aussen' entfalten. Schliesslich erfahren auch die Buddhisten oder die Sufis, die spirituellen Esoteriker oder die Neopaganisten etwas. Aber was nützt es, darüber zu reden, wenn man keinen Wortschatz dafür hat? Ich glaube, wir Christen hätten hier eigentlich einen Vorteil: wir könnten eine Geschichte erzählen - DIE Geschichte! Und wenn die Kirche dieses göttliche Drama begreift und verinnerlicht, dann glaube ich, wird sie nicht anders können als dafür geradezustehen, wie Martin Luther.





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