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  • matt studer

Welcome Woke? Warum ich einst Dreadlocks hatte und Paulus (k)ein kultureller Aneigner war


Eure Art zu leben, eure Gesellschaft und eure Sprache sind toxisch.

(Finn Schlichenmaier, Das Magazin)


Ich habe die 40-Jahre-Grenze mittlerweile überschritten, was mir manchmal bewusst wird, wenn ich den wirklich jungen Generationen zuhöre und zu verstehen versuche, was sie bewegt. Der Klimawandel war bei uns noch kein so apokalyptisches Thema. Die digitalen Medien kamen gerade erst auf. Und dass Rassismus uns alle betreffen soll, war uns damals nicht geläufig. Woke kannten wir nicht, nur Wok, die Pfanne für asiatische Curries.


Heute lese ich gerne Artikel von jüngeren Menschen, weil ich von ihrer Perspektive, ihrem spezifisch jungen Blick auf die Welt profitieren darf. Dabei stelle ich eine gewisse Sensibilität bei Themen fest, die mir selbst fremd ist. Finn Schlichenmaier nennt es den 'Auftritt eines kritischen Bewusstseins' bei der jungen Generation. Ein Bewusstsein, dass unsere Binsenwahrheiten und Allgemeinplätze hinterfragt und unsere kulturell-verinnerlichten Verhaltensweisen durchleuchten möchte. Schlichenmaier beschreibt, wie ihn dieses Gespür überkam:

Als ich beispielsweise im Tram das Gefühl hatte, ich sässe zu breitbeinig, und dann meine Schenkel zusammenrückte. Oder als man mir sagte, ich solle das Wort «Amerika» nicht für die Vereinigten Staaten brauchen oder beim Sprechen eine Pause zwischen die Personenbezeichnung und das -innen setzen, um Non-binäre oder Trans-Menschen nicht unsichtbar zu machen.

Vielleicht waren wir vor zwanzig Jahren einfach weniger sensibel für die Feinheiten der Sprache. Das Thema Rassismus war insofern präsent, dass damals viele Familien aus dem Balkan in die Schweiz flüchteten. Rassistisch war man, wenn man sie als 'Jugos' bezeichnete oder (gemäss der politisch linken Denkweise) ihnen den Zugang zum schweizerischen Privilegientropf missgönnte (die Rechten waren ihrerseits von der Sorge getrieben, dass wir Schweizer dann zu kurz kämen). Heute wird das Thema Rassismus nicht mehr so extrinsisch und klar fassbar verstanden. Rassismus ist plötzlich etwas, dass sich 'implizit' in unsere Alltagsroutinen, Redensarten, Begriffe und Bilder eingenistet hat, wie Schlichenmaier bemerkt. 'Das Übel liegt nicht in Absichten, sondern in erlernten rassistischen Mustern'. Und weil jeder diese Muster intubiert hat, macht sich auch jeder mitschuldig, ob er will oder nicht:

Das bedeutet es, mit der Sprache des strukturellen Rassismus oder des Patriarchats gross geworden zu sein: den Eindruck zu haben, dass das, was wir uns angewöhnt und angeeignet haben, irgendwie korrumpiert ist. Das meine ich, wenn ich davon spreche, dass man plötzlich auf seine eigenen, befleckten Hände schauen muss.

Als Jugendlicher liess ich mir eine zeitlang meine Haare zu Dreadlocks verfilzen, einfach weil es cool war und zum Prozess meiner Selbstfindung gehörte. Nicht im Geringsten kam bei mir der Gedanke auf, ich würde dadurch die afrikanische Kultur ausbeuten, sie mir respektlos aneignen. Gerade umgekehrt war ich tief beeindruckt von der Coolness dieses Styles, vom laidbacken Groove eines Bob Marley oder des treibenden Flows des schwarzen Hip-Hops. Auch Karl May's Winnetou wurde nicht durch ein Wokeness-Kriterien-Sieb passiert, sondern einfach so angeschaut (sehr wohl fiel uns schon damals auf, dass Winnetous wilder Westen irgendwie eine rosarote, romantische Vorstellung der amerikanischen Kolonialzeit abbildete).


Sind die Jungen heute einfach sensibler oder sensibilisierter? Schlichenmaier beschliesst seinen Artikel mit dieser treffenden Feststellung:

Wo sich das Jugendideal von früher um Wildheit und Zügellosigkeit drehte, besteht das politische Jungsein heute auch und gerade in selbstkritischer Reflexion und Selbstregulation. Vorgänge, die, so glaube ich, in einem links-alternativen Milieu der jungen Generation besonders häufig sind.

Was versteht man eigentlich unter woke? Robin DiAngelo und das Privileg und das Problem des Weißseins [1]

Gemäss Wikipedia steht woke für 'ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus' und kommt aus der afroamerikanischen Szene der 1930er Jahre. Die Frage ist, warum dieses Bewusstsein überhaupt erst erwachen musste, oder besser, heute erneut erwachen soll? Die nota bene weisse Autorin und 'antirassistische Aktivistin' Robin DiAngelo meint, dass sich ganz viele weisse Menschen als nicht-rassistisch bezeichnen würden, weil sie ja keine explizite Aversion gegen Menschen einer anderen Rasse hegen, ja vielleicht sogar Freundschaften zu solchen Menschen pflegen würden. Sie sieht ein solches Verständnis von Rassismus aber als verkürzt:

Ein zu simples Verständnis von Rassismus - verstanden als bewusst rassistische und diskriminierende Handlungen, begangen von moralisch verwerflichen Personen - erzeugt in uns den Glauben, dass wir selbst nicht Teil des Problems sind und dass es dabei für uns nichts mehr zu lernen gibt. (White Fragility: Why It's So Hard For White People To Talk About Racism, S. 9, meine Übersetzung)

Nein, Rassismus geht viel tiefer. Wenn Schwarze keinen Platz im Bus bekamen oder von Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen wurden (und ja, in der Kirche nicht neben ihren weissen Brüdern in Christus sitzen durften), beschreibt dies einen Rassismus der groben Sorte meist von einst. Rassismus heute ist vielschichtiger, versteckter, tiefer verwoben.


Was ist dann das Problem, dessen wir uns nicht bewusst sind, wenn es nicht unsere intentionalen Handlungen sind? DiAngelo meint 'das Weiss-Sein' per se, im Englischen als whiteness oder white supremacy bezeichnet. Denn weiss zu sein bedeutet, in einer privilegierten Position gegenüber Nichtweissen zu sein. 'If we look white, we are treated as white in society.' (S. 27) Dabei wird dieser der privilegierte Status der Weissen nicht etwa gesetzlich geregelt (denn vor dem Gesetz sind wir alle gleich). Viel subtiler: 'Whiteness' beschreibt eine Kultur, die durch ihre Sprache, ihre Praktiken, ihre Rituale und Feste uns Weissen jeden Tag und ganz unbewusst nur Vorteile bringt, während 'people of color' dabei benachteiligt werden. Das Problem liegt also mehr in der Struktur des Ganzen, in einem Jahrhunderte lang gewachsenen System der weissen Vorherrschaft.


Ist da was dran? Soziale Ungerechtigkeit kann strukturell sein. Damit meine ich, dass es gewachsene Strukturen geben kann, die bestimmte Menschen bevorzugen, ohne dass wir es aktiv bemerken oder sogar beabsichtigen. Auch kann Rassismus in der Dimension wahrgenommen werden, dass wir bestimmte Haltungen gegenüber Nichtweissen ganz unbewusst übernommen haben. Vielleicht, dass Schwarze generell krimineller sind. Oder dass unsere Kinder in einer Schule mit hohem 'Ausländeranteil' nicht so gut aufgehoben seien. Solche Aussagen müssten effektiv an der Realität geprüft werden. Die Frage bleibt, ob dahinter eine rassistische Dimension verborgen ist. Ein Gefühl, das uns suggeriert, wir seien irgendwie besser oder reiner als die Menschen mit einer anderen Hautfarbe.


Solch subtilere Formen von selbstgerechtem Rassismus sind in der Tat weniger leicht zu erkennen. Hier mag es hilfreich sein, Menschen anderer Couleur kennen zu lernen. Dabei werden falsch gehegte Vorurteile meist automatisch entkräftet. Doch für DiAngelo geht das bei weitem nicht weit genug. Weißsein ist das Problem, Umkehr die Lösung. Und das gilt für alle Weissen gleichermassen. Die Umkehr vom Weißsein beinhaltet diese Schritte:

  • Selbsterkenntnis: ein Aufwachen (woke werden), dass wir Weissen weiss und damit automatisch Komplizen des rassistischen Systems sind (dass wir durch unser Privileg des Weißseins andere nicht-weisse Menschen benachteiligen).

  • Aushalten des erwachten aber ungemütlichen Gefühls, dass wir weiss sind.

  • Gegensteuer geben, mit der weissen Apathie brechen und durch soziale Aktionen beweisen, dass wir bereit sind umzukehren.

  • Daran arbeiten 'weniger weiss' zu werden, indem man die Bereitschaft an den Tag legt, sich von people of color hinterfragen, herausfordern und korrigieren zu lassen und an seinen 'rassistischen Mustern' zu arbeiten.

Es gibt hier genug zu tun. Erstaunlicherweise verläuft dieser Prozess nur einspurig. An keiner Stelle lesen wir in DiAngelo's Buch, dass auch people of color sich des Rassismus schuldig machen könnten. Sie sind die Opfer und damit stets im Recht.


Woke zu werden ist keine leichte Aufgabe, vor allem für progressive Weisse, die von sich selbst das Gefühl haben, sie seien doch schon weltaufgeschlossen und tolerant. Gerade weil sie denken sie seien bereits am Ziel, verwenden sie ihre Energie darauf anderen zu beweisen, dass sie eben schon angekommen sind. (S. 9)


Können wir das Problem des Weißseins durch diesen Umkehrprozess am Ende (er)lösen? Nein, meint DiAngelo:

Eine positive weisse Identität ist ein unerreichbares Ziel. Eine weisse Identität ist von Natur aus rassistisch; weisse Menschen existieren nie ausserhalb des Systems der weissen Vorherrschaft. (Seite 149)

Wokeness in Aktion?!

Falls du dich gefragt hast, ob ein doch recht exotisches Konzept wie woke im normalen Alltag greifen kann: Ja, es kann! Anbei ein paar Beispiele:

  • Diversität gehört bei neueren Hollywood-Produktionen unbedingt dazu (ist aber nicht unumstritten). Woke Filmproduzenten schauen darauf, dass Filme nicht das Muster der weissen Vorherrschaft weiter plakatieren (also weniger weisse und mehr farbige Schauspieler, plus natürlich mehr Darsteller, die auch geschlechtlich eine grössere Vielfalt abdecken).

  • Genau dasselbe lässt sich beim Theater beobachten (Zürcher Schauspielhaus)

  • Das Aufkommen von Anti-Rassismus-Workshops. Das sind Workshops, die über das Thema Rassismus sensibilisieren wollen und dabei das ganze Instrumentarium des Woke-Konzepts bedienen (oder gab es die Stellenbeschreibung Racial and Ethnic Diversity Project Manager früher auch schon?).

  • Safe Spaces für people of color, die vor weissen Meinungen geschützt werden müssen.

  • An den Universitäten: Wenn es zum Beispiel heisst, dass man jetzt nur noch nicht-westliche Stimmen berücksichtigen solle, was soweit führen kann, dass man die westliche Perspektive ganz ausblendet (vgl. hierzu die sogenannte postkoloniale Theorie, die ganz ähnlich wie woke funktioniert)

Wer weitere und auch noch radikalere Beispiele möchte, dem empfehle ich das Buch Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht des Spiegel-Redakteurs René Pfister. [2]


So wie sich das Woke-Konzept in der Gesellschaft breit gemacht hat, so wurde es auch angegriffen. Man könnte durchaus von einer Polarisierung reden: Die progressiv Linke einerseits, die woke befürwortet und die konservativ Rechte, die es kritisiert. Gerade in konservativen Kreisen ist das Wort regelrecht zu einem Schimpfwort verkommen, mit dem Befürworter gebrandmarkt und abgeschossen werden. Die ganze Diskussion ist nicht schön anzuhören.


Noch mehr als die Gesellschaft interessiert mich die Kirche. Gibt es woke auch innerhalb der Kirche? Gibt es in der Tat! Gerade neulich hat Reflab eine kleinere Diskussion dazu gepostet (interessanterweise war man sich intern nicht einig, wie woke man denn nun als Reflab sein solle). Es scheint auch unter Evangelikalen eine (kleine?) Gruppe zu geben, die sich dem Thema öffnet. Meistens in Kombination mit dem ganzen Paket verwandter Themen wie Diversität bei der Geschlechterfrage (LGBTQ) oder einer generellen Kritik des männlichen Patriarchats (Diversität heisst auch, dass das Christentum mehr feminine Anteile bräuchte). Diese auf den ersten Blick etwas losen Themen werden durch das Konzept der Intersektionalität zusammengehalten. Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken oder Überlappen mehrerer Unterdrückungsmechanismen. Eine schwarze Frau beispielsweise erlebt mehr Diskrimierung als ein schwarzer Mann, noch mehr wenn sie gehbehindert ist, usw. Am oberen Ende des 'Herrschaftsspektrums' steht der weisse, heterosexuelle, körperlich fite Mann, der von seiner Position entthront werden soll!


Nun gibt es jüngere, evangelikale (post-evangelikale) Autoren, welche die evangelikale Bewegung unter genau diesen Gesichtspunkten ins Visier nehmen und dekonstruieren. David Gushee nennt Christine Kobes Du Mez (Jesus and John Wayne), Jemar Tisby (The Color of Compromise) oder Jacob Alan Cook (Worldview Theory, Whiteness, and the Future of Evangelical Faith) als Protagonisten. Diese Autoren versuchen auf verschiedene Art und Weise offen zu legen, wie der 'weisse' Evangelikalismus sich durch solch oppressive Ideologien wie das männliche Patriarchat, White Supremacy oder einem homophoben Grundgefühl konstituiert habe und davon lebe. Mich dünkt, dass solche Gedanken auch in gewissen Kreisen der evangelikalen Szene bei uns an Boden gewinnen.


Eine vorläufige Kritik: Rassismus und woke sind nicht dasselbe

Das Thema Rassismus ist für die Kirche äusserst relevant. Unsere Identität in Christus reisst sämtliche Rassen-Barrieren nieder. In Christus gibt es weder Juden noch Griechen, denn alle sind 'sie ein Mensch in Christus' (Gal 3,28). Das Neutestamentliche Volk Gottes transzendiert den Nationalismus des Alten Testaments als ein Volk bestehend aus Juden und Heiden. Denn durch Christus wurde die trennende Wand zwischen den Juden und den Nationen niedergerissen (Epheser 2,14).


Wie uns schmerzlich bewusst sein muss, spielte die christliche Kirche manchmal eine unglückliche Rolle, indem sie Rassismus nicht nur tolerierte, sondern sogar propagierte. Gleichzeitig waren es christliche Impulse 'von innen', die dazu führten, dass die Sklaverei abgeschafft oder Segregation bekämpft wurden. Das christliche Menschenbild sieht die Würde eines jeden Menschen als Ebenbild Gottes und dient als enorm starker Motivator, Rassismus in jeglicher Form zu konfrontieren. 'Im Himmel' werden wir in den Genuss der kulturellen Schätze aller von Gott geschaffenen Volksgruppen kommen, garantiert diskriminierungsfrei. Und wie ich mich darauf freue, wenn neben der Bachfuge auch der jamaikanische Reggae groovt, Hiphop mit Schweizerörgeli gemixt wird (der Worship wird garantiert nicht mehr so einseitig sein wie bei uns heute!).


Das Thema woke dagegen ist für die Kirche auf einer ganz anderen Ebene relevant. Wir sollten uns bewusst sein: Rassismus und woke sind nicht deckungsgleich, auch wenn es vordergründig so scheint! Rassismus besagt, dass eine Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Rasse benachteiligt und unterdrückt wird. Das Problem liegt darin, dass Menschen unterdrückt werden. Woke sagt, dass Weisse alle anderen unterdrücken. Das Problem liegt im Weißsein per se. Wie René Pfister meint, wird 'Weißsein als eine Art Ursünde' definiert, 'aus der es kein Entrinnen gibt'. (Seite 58) Pfister spricht dem Wokeismus gar einen religiösen Aspekt zu. Denn obwohl diese Ideologie 'im Gewand einer durch und durch weltlichen Emanzipationsbewegung' daherkomme, stecke sie 'voller religiöser Anleihen'. Neben der Ursünde des Weißseins wird eine 'manichäische Spaltung der Welt, in der weisse Männer alle anderen Menschen (Frauen, Schwarze, Homosexuelle, Transgender) unterdrücken' vorausgesetzt. Wie jede Religion, so predigt auch woke eine Umkehr zur Busse. Sie verlangt nach 'öffentlichen Selbstgeisselungen, die selbst nach den geringfügigsten Verfehlungen notwendig sind.' (Seite 18-19) Doch im Gegensatz zum christlichen Evangelium verheisst die Woke-Religion keine Erlösung (vom Weißsein). Es bleibt nur der 'dornenreiche Weg der permanenten Selbstanklage'. (S. 185) Passend dazu findet sich das Vokabular in der woken Literatur. So spricht beispielsweise Ibram X. Kendi über seinen Leitfaden, der zu einem anti-rassistischen Verhalten anleiten soll, als 'einem Beichtstuhl'. Wie Pfister bemerkt, lässt das Buch viel Platz, 'damit der Leser seine eigenen Verfehlungen notieren kann.' (S. 163) Insofern das Woke-Konzept diesen spirituellen Weg propagiert, ist es mit dem biblischen Evangelium nicht kompatibel.


Der woke Glaube wirkt an einigen Stellen zudem sehr schlagseitig oder er ergibt schlicht und einfach keinen Sinn. Zum Beispiel wenn er 'sämtliche Ungleichheiten' zwischen Schwarzen und Weissen 'zum Ergebnis von Rassismus macht' und den Gedanken, dass es auch 'selbstverschuldete Probleme in der schwarzen Community geben könnte' als sofort rassistisch verurteilt. (Pfister, S. 164) Sinnfrei scheint mir die Annahme, dass alle Probleme vom Weißsein ausgehen sollen und dass Weisse eigentlich immer danebenliegen. Wie kann dann DiAngelo als weisse Autorin überhaupt eine gültige Meinung äussern? Die Annahme, dass nur die Perspektive der Unterdrückten (ergo der Nicht-Weissen) wahr sein kann, kann nur zu neuen Formen der Unterdrückung führen, indem weisse Stimmen marginalisiert werden. All diese logischen Widersprüche sind kein Problem für woke. Weisse Widersprüche offenbaren ja 'nur die eigene Ignoranz'. (Pfister, Seite 156) Einmal weiss, immer weiss und damit immer Teil des rassistischen Problems.


So anders klingt da der Grundtenor des Neuen Testaments. Der Apostel Paulus, der sich mit Händen und Füssen für die Gleichstellung von Juden und Heiden in der christlichen Gemeinde einsetzte, hatte andererseits keine Probleme mit 'kultureller Aneignung' (wenn man dem so sagen will). Im Gegenteil, dem Juden ein Jude, dem Griechen ein Grieche, damit er möglichst viele für Gott gewinne (1Kor 9,20-21).


Zum Schluss: Ist woke nur ein Randphänomen, oder müssen wir damit rechnen, dass die Gesellschaft und unsere Kirchen konvertieren?

Wir begannen diesen Artikel mit einem kurzen Einblick in die Gedankenwelt eines jungen Autoren, der sich selbst als links-progressiv bezeichnet. Das Wort woke kam in seinem Artikel zwar nicht vor, so doch der ganze Ballast dieses Konzepts. Könnte es sein, dass die Ideen einer Generation (auch die verrückten Ideen) zu den Instinkten der nächsten Generation werden, wie Pfister meint? (Seite 35)


Woke ist gesellschaftlich eigentlich nur eine Minderheitenmeinung. Zu radikal und selbstwiderlegend ist das Konzept. Vielleicht sind darum auch all die Panikattacken der rechten, konservativen Seite unangebracht, moralische Panikmache? Pfister meint sogar, dass 'die Dogmen und Glaubenssätze in dieser kleinen Blase so rigide sind, dass sie auf eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler abstossend wirken ... ganz unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe'. (S. 216)


Lohnt es sich demzufolge überhaupt, dem Phänomen Beachtung zu schenken? Ja, aus zwei Gründen, wie ich meine. Erstens, wenn die 'Idee' tatsächlich zu einem Instinkt der neuen Generation (inklusive meinen Kindern) werden sollte, kann sie mir nicht egal sein. Zweitens, wenn evangelikale Autoren beginnen das Konzept aufzugreifen und wenn die Bücher dieser Autoren auch bei uns gelesen werden, muss es unser Anliegen sein, die (so viel bessere) Antwort des biblischen Evangeliums entgegenzuhalten.




Zu diesem Artikel verwandte Beiträge:


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[1] Das Konzept der Wokeness greift auf die theoretische Grundlagenarbeit der kritischen Theorie, oder Critical Race Theory zurück. Für mehr siehe meine beiden verwandten, am Ende des Beitrages verlinkten Artikel.


[2] Natürlich kommt woke aus Amerika. Aber René Pfister zeigt auf, wie das Konzept auch im deutschsprachigen Raum Fuss gefasst hat.





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