Change is a matter of going deeper.
(Dane Ortlund)
The best advice I can send, or the best wish I can form for you, is that you may have an abiding and experimental sense of those words of the apostle which are just now upon my mind - "Looking unto Jesus." The duty, the privilege, the safety, the unspeakable happiness, of a believer, are all comprised in that one sentence ... Looking unto Jesus is the object that melts the soul into love and gratitude.
(John Newton - Letters of John Newton)
Manchmal bekommt man einfach nicht genug. Man möchte immer wieder hinschauen, einatmen, eintauchen. So geht es mir manchmal, wenn ich an einem einsamen Strand aufs Meer hinausschaue, oder in den Bergen die nahen und entfernten Gipfel betrachte. Es ist, als würde ich von diesem Anblick trinken, oder durch mein stilles Betrachten in die Weiten und Tiefen dieser Schönheit eindringen und abtauchen.
Dane C. Ortlund hat ein Buch geschrieben mit dem Titel 'Deeper - Real Change for Real Sinners' - auf Deutsch 'Tiefer - wahre Veränderung für wahre Sünder'. Ich weiss nicht, was dieser Titel mit dir macht, ob du als Erstes vielleicht über das Wort 'Sünder' stolperst (wir werden dazu kommen). Mich bewegt das Adjektiv tiefer. Tiefer kommen, tiefer tauchen, tiefer eindringen. So auch in meiner Beziehung zu Gott, in meinem Unterwegssein als Christ. Stillstand ist da keine Option. Es gibt noch so viel mehr zu entdecken, noch so viel Tiefe auszuloten. Ein weiter Ozean, der mich innerlich zieht.
Um ein solches Tiefer-Kommen geht es in Ortlund's Buch. Und es geht um Veränderung. Darum, dass Veränderung, Transformation, Wachstum und Entwicklung im christlichen Leben wesentlich damit zu tun haben, ob wir regelmässig in die tiefen Tiefen tauchen, oder ob wir lieber an der Oberfläche schnorcheln. Es geht also um das altchristliche Konzept der Heiligung - gemeint als 'ein Gott ähnlicher werden', denn wie der, der uns berufen hat, heilig ist, sollen auch wir heilig sein in unserem ganzen Lebenswandel (1 Petrus 3,16) Was aber hat ein geheiligtes, verändertes Leben mit Tief-Tauchen zu tun?
Der Kernpunkt dieses Buches ist, dass Veränderung eine Frage des Tiefer Gehens ist. (S. 16) [1]
Nun gibt es nur schon unter Christen ganz verschiedene Vorstellungen darüber, wie eine echte (geistliche) Veränderung geschehen kann. Geschieht Veränderung vielleicht durch das Einüben bestimmter Praktiken, das Leben nach einer definierten Lebensregel (wie die Bergpredigt oder die zehn Geboten)? Findet sie statt, indem man sich stärker darum bemüht, den christlichen Glauben richtig zu denken und sich in der biblischen Lehre zu vertiefen? Oder ereignet sie sich, wenn wir Gottes Gegenwart erfahren, zum Beispiel bei einem intensiven Worship-Moment? All das hat seine Berechtigung. Dennoch:
Mein Argument ist, dass alle drei dieser Elemente zu einer gesunden christlichen Entwicklung gehören ... aber echtes Wachstum geht über sie alle hinaus. (S. 16)
Wie denn?
In Christus zu wachsen bedeutet nicht zuerst, dass man sich verbessert, etwas hinzufügt oder etwas erlebt, sondern dass man tiefer geht. Darin ist impliziert, dass du bereits hast, was du brauchst. Christliches Wachstum bedeutet, das, was du tust, sagst und fühlst, mit dem in Einklang zu bringen, was du tatsächlich bereits bist.
Bevor jetzt der Verdacht aufkommt, es gehe hier um eine esoterische Geheimlehre des verborgenen Wachstums, die uns der Guru Ortlund nun eröffnen wird, nur diese zwei Bemerkungen. Erstens, Tiefer zu Gehen heisst in erster Linie, in das tiefe Meer der Gnade einzutauchen und das gewaltige Bergpanorama der Güte Gottes anzuschauen und zu staunen. Die einzige Voraussetzung ist, sich selbst und Gott gegenüber ehrlich zu sein. Und damit kommen wir, zweitens, auf das Wort 'Sünder' zurück. Es geht dem Titel des Buches gemäss nicht um eine Veränderung an der Oberfläche, eine Gesichtsmaske für sündige Pickel. Es geht um die Tiefen des Herzens, eine echte Herzensveränderung für solche, die erkennen, dass ein chirurgischer Eingriff not tut. Wie Ortlund es beschreibt:
In diesem Buch geht es nicht um Verhaltensänderungen. Ich werde nicht darüber sprechen, den Wecker früher zu stellen oder die Kohlenhydrate zu reduzieren. Wir werden nicht einmal über den Zehnten oder den Kirchenbesuch oder geistliches Tagebuch schreiben oder Kleingruppen oder ... nachdenken. All das kann auch aus innerer Verdorbenheit heraus geschehen. Wir sprechen von echten Veränderungen. Und wir sprechen über echte Veränderungen für echte Sünder. (S. 18)
Wenn du also das Gefühl hast, dass es dir als Christ recht gut läuft, kannst du dieses Buch wieder ins Regal stellen (und diesen Blogbeitrag beerdigen). Dieses Buch ist nämlich "für Frustrierte, für die Erschöpften ... Für diejenigen, die kurz davor stehen, jeden echten Fortschritt in ihrem christlichen Wachstum aufzugeben." (S. 18)
Kollabieren und aufgeben - oder: Sterben, bevor man stirbt, denn sonst ist es zu spät
Was wir bei der Bekehrung tun und was wir danach noch zehntausend Mal tun, ist nicht, Gott darum zu bitten, unserem ansonsten geordneten Leben einen kleinen Wachstumsbooster vom Himmel zu geben. Was wir tun, ist zu Kollabieren. Wir lassen die Verzweiflung darüber, wer wir sind, wenn uns selbst überlassen, über uns hereinbrechen. Kurz gesagt, wir sterben. (S. 42)
Das sind recht krasse Worte, die wir etwas genauer auspacken müssen, weil hier sonst leicht der Verdacht entsteht, diese Art von Spiritualität sei zu negativ, viel zu wenig das positive Potenzial des Menschen betonend. Doch, betrachten wir es mal von dieser Seite:
Ein Grund, dass manche Christen ihr ganzes Leben lang oberflächlich bleiben, ist, dass sie es sich nicht erlauben, den schmerzhaften Korridor der Ehrlichkeit darüber zu durchschreiten, wer sie wirklich sind.
Die Welt sagt uns: 'Entdecke und entwickle dein Potenzial. Entdecke dich selbst! Arbeite daran, das Beste aus dir herauszuholen. Wenn du dich nur genug anstrengst und deine inneren Ressourcen anzapft, kannst du deine Probleme überwinden.' Diese Botschaft ist zentral für unser Menschsein. Ortlund meint: "Ich schlage dir nicht vor, das glorreiche Bild Gottes, das du in dir trägst, herabzuwürdigen." Es ist biblisch offensichtlich: Der Mensch, jeder Mensch, ist einzigartig und wunderbar geschaffen (Psalm 139). Jeder Mensch trägt ein unglaubliches Potenzial in sich. Das Problem? Diese Melodie spielt nur in Dur - doch damit verpassen wir einen wichtigen Teil der menschlichen Realität, alle Stimmungen in Moll. Und damit leben wir illusionär, wir schwimmen an der Oberfläche.
Als Mensch, der in enger Beziehung mit seinen Mitmenschen lebt, kann ich bestätigen, dass es keinen Masterabschluss in Psychologie braucht, um zu merken, wie viel Ballaststoffe, wie viel Krummes und Unfrommes täglich aus mir heraussprudelt. Und nach gut vier Jahrzehnten an Lebenserfahrung ist mir auch bewusst, dass Veränderung nicht einfach auf Knopfdruck passiert. Viele dieser destruktiven Muster haben sich tief in meine menschliche Natur eingegraben, sind über die Jahre eingeübt worden und haben (leider) ihren festen Platz in meinem Denken und Fühlen gefunden.
Tiefer Gehen heisst nun, dieses Krumme, ja dieses 'Böse' in mir nicht unter den Teppich zu kehren - mich nicht vor mir selber, vor anderen und vor allem vor Gott zu verstecken. Ich möchte am Ende nicht diese Worte hören, die Jesus an die Gemeinde von Laodizea richtete: Du behauptest: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir. Du weißt aber nicht, dass gerade du elend und erbärmlich bist, arm, blind und nackt. (Offb 3,17) Lieber möchte ich immer wieder mal den "freudigen freien Fall der Selbstverzweiflung" (S. 44) erleben, wie Ortlund es poetisch nennt.
Wir werden nicht wachsen, zumindest nicht tiefgreifend, außer indem wir den schmerzlichen Tod erleiden, ehrlich zu unserem eigenen spirituellen Bankrott zu stehen. (S. 44)
Manchmal braucht es dazu eine Begegnung mit der Heiligkeit Gottes, wie bei Petrus: "Als Petrus aufgrund eines außergewöhnlichen Fischfangs erkannte, dass derjenige, der mit ihm im Boot saß, die verkörperte heilige Gottheit war, klopfte er Jesus nicht auf die Schulter und dankte ihm für den guten Fang des Tages. Er fiel auf sein Gesicht." (S. 44)
Als Simon Petrus das sah, warf er sich vor Jesus auf die Knie und sagte: »Herr, geh fort von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.« (Lukas 5,8)
Das ist ein erstaunliches Eingeständnis, das so in keinen Disney-Film passt. Und doch ist
diese Erkenntnis in der Beziehung zu Gott ist ein wichtiger Baustein (wenn auch nicht der einzige Baustein!). Es ist ein wichtiges Eingeständnis, weil wir damit der Realität, wer wir wirklich sind (oder wie wir auch noch sind, neben all unseren Sonnenseiten!), Ausdruck geben. Und zu diesem Eingeständnis gehört leider noch ein weiteres Eingeständnis: Ich schaffe es nicht, trotz aller Willenskraft und Anstrengung, mich wirklich und umfassend in den Menschen zu verwandeln, der ich gerne sein würde oder nach Gottes Willen sein sollte. Darum:
Verzweifelst du bereits daran, was du mit deiner Heiligung erreichen kannst? Wenn nicht, habe den Mut, dich selbst im Spiegel zu betrachten. Sieh deine tiefe Armut. Bitte Gott, dir deine Arroganz zu vergeben. (S. 45)
Alles andere ist Kosmetik. Alles andere ist Schönreden. Alles andere ist unrealistisch und wird deinem Leben fern von Facebook nicht gerecht. Aber dann schliesslich und endlich: "Während du in diesen 'Tod' hinabsteigst und checkst, wie sinnlos und unmöglich es ist, durch deine eigenen Bemühungen etwas erreichen können, ist es dort, genau dort, ... wo dein Gott lebt." (S. 45) Hierin liegt das wahre Geheimnis dieser Spiritualität: Wir fallen nicht, um liegen zu bleiben. Wir sterben, um wieder zum Leben zu erwachen.
Es ist nichts Edles daran, in diesem Abgrund der Verzweiflung zu bleiben. Gewiss, wir müssen es erleben. Aber wir sind nicht dazu bestimmt, dort zu verweilen. Wir müssen dorthin gehen. Aber nicht, um dort zu bleiben. (S. 47)
Vielmehr fallen wir in diese Tiefe, um von dort aus erneut aufzusteigen. Wir fallen - wir steigen auf. Die Bibel nennt diese zweistufige Bewegung auch Umkehr und Glauben. Umkehren heisst, von sich wegzuschauen und Glauben heisst, auf Jesus zu schauen. Beides gibt sich die Hand. Um auf Jesus zu schauen, muss ich von mir wegschauen. Und wenn ich von mir wegschauen will, wohin schaue ich dann? Für viele Christen ist Umkehr (oder Busse, wie man früher sagte) ein einmaliges Geschehen, wenn man Christ wird. Für den Reformator Martin Luther dagegen war es eine tägliche Aufgabe, wie die 1. seiner 95 Thesen besagt:
Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen", wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.
Ich bekenne tagtäglich, dass ich noch kein fertiger Mensch bin und Jesus brauche. Ich stelle mich meinen Schattenseiten und lege sie Gott hin. Und dann lebe ich mein ganzes Leben aus dem Glauben (Galater 2,20), im Schauen auf Jesus. Denn unser Leben hier auf der Erde ist ein Leben des Glaubens ... (2 Kor 5,7).
Dabei gibt es folgendes zu beachten (als Cliffhänger für den unteren Teil dieses Blogs):
Sowohl Umkehr als auch Glaube dürfen niemals isoliert von Jesus selbst betrachtet werden. Sie sind Verbindungen zu Christus. Sie sind zwar nicht „unser Beitrag“. Aber sie sind die Wege, auf denen wir zu echter Heilung gelangen: Christus selbst. (S. 48)
Unsere Einheit mit Christus: Eintauchen in ein unendliches Meer
Those who collapse into him in repentance and faith are united to him - joined to him - one with him. (S. 51) [2|
Am Ende landen wir bei Jesus. Es geht um ihn. Um unsere Beziehung zu ihm. Um unser Einssein mit ihm. Ortlund beschreibt, wie das Thema der Heiligung unter Christen häufig missverstanden wird, weil man diese zentrale Realität, unsere Einheit mit Christus, nicht in den Blick nimmt.
Geht es dabei um Gott am Anfang - und dann ich? Also, Gott rettet mich souverän und aus Gnade, aber dann liegt es an mir, mich wie ein guter Christ zu verhalten?
Oder verstehen wir Heiligung als "Gott exklusiv", ohne mich? 'Let go and let God', wie man auf Englisch schön sagt? Sind und bleiben wir also passiv, wenn es darum geht, in das Bild Christi zu wachsen?
Vielleicht wäre "Gott plus ich" näher bei der Wahrheit? Gott tut seinen Teil - ich tue meinen? Am Schluss geben beide Teile zusammen den ganzen Kuchen?
Wir ahnen es bereits, es muss einen vierten Weg geben: Gott in mir.
Gott tut alles, um mich zu retten, und dann vereint er mich durch seinen Heiligen Geist mit seinem Sohn. Das Ergebnis ist, dass wir bei unserem Wachstum in der Heiligkeit „nicht nur passiv darin sind, noch dass Gott einiges tut und wir den Rest, sondern dass Gott alles tut, und wir alles tun ... Wir sind in verschiedener Hinsicht total passiv und total aktiv." (S. 54; Ortlund zitiert hier Jonathan Edwards)
Ich muss gestehen, ich kratze immer noch an der Oberfläche dieser Realität, dass ich mit Jesus vereint bin, vereint, wie Mann und Frau eins werden, wenn sie den Bund der Ehe eingehen (Epheser Kap. 5). So verbunden, wie eine Rebe mit dem Weinstock verbunden ist und nur aus dieser Verbindung heraus bestehen und Frucht bringen kann: Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. (Joh 15, 5)
Deine Erlösung im Evangelium ist weitaus tiefer ... als ein Bekehrungsgebet zu sprechen, die Hand zu heben oder an einer Evangelisationsveranstaltung nach vorne zu gehen. Deine Erlösung besteht darin, mit dem lebendigen Christus selbst vereint zu sein. Es ist, wie Scougal schrieb, „eine Vereinigung der Seele mit Gott, eine wirkliche Teilhabe an der göttlichen Natur.“ (S. 61, siehe Henry Scougal: The Life of God in the Soul of Man)
Mir kommt wieder der Martin (Luther) in den Sinn, der unsere Beziehung zu Jesus mit der Beziehung der Braut (wir) mit dem Bräutigam (Jesus) vergleicht. Wir bekommen alles, was der Bräutigam besitzt und der Bräutigam bekommt alles, was wir besitzen. Nur, dass das Verhältnis nicht stimmt. Wir kommen mit leeren Händen, mehr noch, mit Runzeln und Falten, mit einem Zeugnis des Versagens - und er kommt mit seiner Fülle, mit den Reichtümern aus der himmlischen Schatzkammer. Und aus meiner Einheit mit ihm darf ich einfach empfangen. Hören wir Luther selbst (aus 'Freiheit eines Christenmenschen'):
Ist das nun nicht eine fröhliche Hochzeit, wo der reiche, edle, gerechte Bräutigam Christus das arme, verachtete, unansehnliche Mädchen heiratet und sie von allem Übel befreit, mit allen Gütern ziert? Daher ist es unmöglich, dass die Sünden sie verdammen, denn sie lasten nun auf Christus und sind in ihm verschlungen, daher besitzt sie eine so reiche Gerechtigkeit in ihrem Bräutigam, dass sie erneut gegen alle Sünden zu bestehen vermag, wenn sie denn auf ihr liegen.
Da liegt schon eine rechte Vollkorn-Portion an geistlicher Nahrung drin, die uns gesund werden lässt, wenn wir sie denn immer wieder verdauen. Wir sind eins mit Christus und haben dadurch Anteil an der göttlichen Natur! Gerade auch wenn wir es selber nicht auf die Reihe kriegen. Ortlund schlägt vor, dass wir die Dunkelheit, die immer noch da in unserem Leben sitzt, unsere spirituelle Lethargie, die gewohnheitsmäßige Sünde, die Orte in unserem Leben, wo wir immer wieder mal versagen, nicht verdrängen, sondern vor Gott ehrlich offenlegen sollen. Ja, unsere dunklen Seiten holen uns manchmal ein, die Sünde scheint unüberwindbar, das Destruktive überwiegt. Und doch:
So weit die Sünde in deinem Leben reicht, Christus und unsere Vereinigung mit ihm reichen weiter. (S. 66)
Unsere Einheit mit Christus ist das, was uns ultimativ ausmacht; das, was unsere Identität konstituiert. Nicht etwa meine Sünde, meine Runzeln und meine holprigen Versuche, ein besserer Mensch zu werden. Auch nicht einmal meine guten Taten und schönen Seiten. Christus in mir - und ich in ihm! Das ist die realste Realität für einen Christen. Dabei geht meine Persönlichkeit nicht unter. Ich bleibe Ich, eher noch, in Christus werde ich zu dem Ich, zu dem Gott mich geschaffen hat - frei von den schlacken meiner gefallenen Natur.
Es geht darum zu empfangen - eine Sola Gratia Spiritualität
Da sein Wesen die Liebe ist, ist Gott sozusagen ein unendlicher Ozean der Liebe. (Jonathan Edwards)
Wir sind mit Christus vereint, wie Braut und Bräutigam. Und was tut ein Bräutigam lieber, als seine Braut zu beschenken? Jesus gibt uns von der göttlichen Fülle, aus dem ewigen Ozean der göttlichen Liebe. Das ist Gottes Plan für uns, dass wir "erfüllt werden, bis wir die ganze Fülle Gottes erlangt haben." (Eph 3,9b) Und wie geschieht das? Indem wir "die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft." (Eph 3,9a)
Wir werden von der göttlichen Fülle erfüllt, wenn wir die Liebe Christi erfahren. Wir machen uns nicht selber daran, die göttliche Fülle zu erlangen. Wir erhalten sie. Das ist die Überraschung des christlichen Lebens. Der Aufschwung unseres geistlichen Wachstums kommt nicht dadurch, dass wir uns an die Arbeit machen, sondern dass wir unsere Hände öffnen. (S. 74)
Ortlund ist hier nicht per se gegen 'Arbeit', Disziplin oder Anstrengung im christlichen Leben. Das gehört alles mit dazu. Aber das Essentielle einer christlichen (evangelikalen) Spiritualität ist das Empfangen. Die Reformatoren sprachen von Sola Gratia - nur durch die Gnade Gottes. Durch Gnade sind wir erlöst und durch Gnade werden wir geheiligt. Es ist ein Geschenk. Und das geht so:
Dein Wachstum in Christus wird nicht weiter gehen, als ganz tief in deinem Herzen zu realisieren, dass Gott dich liebt ... Wir werden uns nur soweit an Gott erfreuen, wie wir seine Liebe schmecken. (S. 75-76) [3]
Ich weiss, das solche Sätze für uns manchmal abgedroschen klingen. Die Phrase 'Gott liebt dich' haben wir schon tausendmal gehört. Aber hat sie unser Herz wirklich erreicht, so dass wir, weil wir diese Wahrheit tief in uns haben einsinken lassen, heute nicht mehr dieselben Menschen sind? Vielleicht haben wir nicht richtig verstanden, was Gottes Liebe für uns ist, was sie beinhaltet, was sie auszeichnet? Vielleicht haben wir mit einem zu sentimentalen Verständnis von Liebe gehandelt?
Zunächst einmal brauchen wir den Heiligen Geist, den Geist Christi, den wir ja bereits haben, wenn wir zu Christus gehören (Römer 8,9). Er schreibt uns Gottes Liebe ins Herz: Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben und hat unser Herz durch ihn mit der Gewissheit erfüllt, dass er uns liebt. (Römer 5,5) Und, Wir aber haben diesen Geist erhalten ... Darum können wir auch erkennen, was Gott uns in seiner Gnade alles geschenkt hat. (1 Korinther 2,12) Und was hat Gott uns in seiner Gnade geschenkt? Eigentlich alles, doch zuallererst sich selbst, oder anders formuliert, seinen Sohn: Er hat ja nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont, sondern hat ihn für uns alle hergegeben. Wird uns dann zusammen mit seinem Sohn nicht auch alles andere geschenkt werden? (Römer 8,32)
Das Geheimnis des christlichen Wachstums liegt 'ganz einfach' darin, zu erkennen, was Gott uns in seinem Sohn alles geschenkt hat. Ortlund fragt: "Aber wohin blicken wir, um Jesus zu sehen?" (S. 78) Die Antwort lautet:
Wir schlagen eine Bibel auf. Wir sehen, wie Jesus über die Seiten der Evangelien wandelt, aber darüber hinaus sehen wir ihn über die Seiten der gesamten Bibel wandeln ... denn die gesamte Bibel ist eine zusammenhängende Story über unser Bedürfnis nach einem Retter und die Bereitstellung Gottes für einen solchen Retter.
Hierin besteht unsere tägliche Aufgabe: Wir empfangen die Liebe Gottes, die sein Geist in unsere Herzen giessen will - indem wir auf Jesus Christus schauen. Der Apostel Paulus bringt es eigentlich am besten auf den Punkt: Jesus anschauen und verwandelt werden, und all das durch den Heiligen Geist:
Indem wir das Ebenbild des Herrn anschauen, wird unser ganzes Wesen so umgestaltet, dass wir ihm immer ähnlicher werden und immer mehr Anteil an seiner Herrlichkeit bekommen. Diese Umgestaltung ist das Werk des Herrn; sie ist das Werk seines Geistes. (2 Kor 3,18)
Zum Schluss
Es gäbe noch viel mehr zu sagen zu Ortlund's Buch. Am Besten lest ihr sein Buch, das auch auf Deutsch übersetzt worden ist, selber. Selbstverständlich gäbe es auch mehr zu sagen über biblisch-christliche (evangelikale, reformatorische, oder wie auch immer der Marker) Spiritualität. Für einen Anfang verweise ich auf diese zwei Artikel von mir:
Schliessen möchte ich mit einem letzten Blick auf das Bergpanorama, einem allerletzten Abtauchen in das tiefblaue Wasser des Meeres.
Was muss grundlegend und tiefgreifend im Herzen eines einzelnen Menschen geschehen, damit er geistlichen Schub bekommt und wächst? Die Botschaft dieses Buches ist, dass die Art und Weise, wie wir wachsen, darin besteht, die herzliche Liebe Christi zu empfangen. Das Evangelium der Gnade bringt uns nicht nur zum Glauben, sondern ist das Element, das unseren Glauben auch weiter bewegt. (S. 173)
[1] Alle Zitate habe ich aus dem Englischen Original übersetzt. Seitenangaben beziehen sich auf das Original.
[2] Es ist mir leider nicht befriedigend gelungen, dieses Zitat zu übersetzen.
Vielen Dank für die Darstellung dieses Buches!
Hier mein Versuch, das Zitat zu übersetzen:
"Die, welche in Jesus hinein zusammenbrechen in Umkehr und Glauben, werden mit ihm vereinigt - an ihn angeschlossen - sind eins mit ihm."
("Those who collapse into him in repentance and faith are united to him - joined to him - one with him.")
"In Jesus hinein zusammenbrechen" - das ist der Knackpunkt. Ich denke, man kann es auf vielerlei Weise umschreiben, und das wäre vielleicht hilfreich:
"Fall auf Jesus und leb" - aus dem Lied "Komm zu Jesus" von Chris Rice und Andrea Adams-Frei.
Oder so (nach einer Auslegung von Tim Keller): Jesus macht dem Petrus klar (Joh 21,15-17): Petrus, du bist der größte Versager aller…