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  • matt studer

Auf Jesus Christus schauen - John Owen und der Kampf gegen die Sünde Teil 3


For every look at yourself, take ten looks at Christ.

(McCheyne)


In temptations it is safest to behold nothing but Christ.

(Richard Sibbes, The Bruised Reed)


Set faith at work on Christ for the killing of thy sin.

(John Owen, The Mortification of Sin in Believers)



In diesem letzten Teil zu John Owen's kleiner Schrift darüber, wie Christen aktiv gegen die Sünde in ihrem Leben angehen sollen, gelangen wir nun endlich zum evangelikalen Kernstück der ganzen Sache: Wir schauen weg von uns - auf Jesus! Und damit landen wir dort, wo Owen von Anfang an landen wollte. Das mag vielleicht erstaunlich klingen, haben wir doch nun zwei Beiträge lang (siehe Teil 1 und Teil 2) eher eine Nabelschau betrieben. Aber für John Owen war das alles nur Vorbereitung, wie das monatelange Training vor dem 100 Meter Sprint, der dann in wenigen Sekunden über die Bühne geht.

Now, the consideration which I have hitherto insisted on are rather of things preparatory to the work aimed at than such as will effect it. (Seite 78) [1]

Es ist unglaublich wichtig, dass wir verstehen, worum es hier ging. Es ging eben gerade nicht um eine Selbsterlösung, den angestrengten Versuch, durch eigene Ingeniosität und Stärke Schub zu gewinnen, durch unsere Disziplin und geistlichen Übungen, mittels unserer eigenen Ressourcen den Kampf zu gewinnen. Owen schiebt all dem den Riegel vor. Sein Programm war vielmehr so angelegt, dass er uns durch seine Vorbereitungen an den Punkt bringen wollte, an dem wir an uns selbst verzweifeln und uns nichts anderes übrig bleibt, als uns ganz auf Jesus zu werfen, mit Haut und Haar.

Many persuasions have I had that I had got the victory and should be delivered, but I am deceived, so that I plainly see, that without some eminent succour and assistance, I am lost. (Seite 79)

Auch wenn das vielleicht zunächst so selbst-verneinend tönt - denn ich höre bereits den Einwand, dass wir Christen mit einem zu negativen Menschenbild operieren, dass wir dem Menschen zu wenig zutrauen, dass wir uns selbst schwach und impotent darstellen (Nietzsche lässt unfreundlich grüssen!) - liegt hier das ganze (evangelikale) Geheimnis der Transformationskraft verborgen. Wir lassen uns an Gottes Gnade genügen. Wenn wir am Punkt der Verzweiflung unsere Versuche der Selbsterlösung loslassen, ja wenn wir kollabieren und uns ganz in die Hände Gottes fallen lassen, dann (erst) erfahren wir seine Kraft. Solches zeigt uns zum Beispiel der Prophet Jesaja:

Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jesaja 40,28-31)

Das ganze Geheimnis all der Mühen der vorbereitenden Selbsterkenntnis mündet bei Owen in das Bekenntnis, dass die Lösung nicht in mir, sondern in Jesus Christus liegt - und zwar in Hülle und Fülle. Dort wo ich nichts habe, hat er alles. Dort wo ich verzweifle, ist alle Hoffnung in ihm. Dort wo meine angestrengten Kraftakte nichts bewirken, ist alle Kraft in ihm.

By faith ponder on this, that thou art no way able in or by thyself to get the conquest over thy distemper, though thou art even weary of contending, and art utterly ready to faint, yet that there is enough in Jesus Christ to yield thee relief. (Seite 79)

Der Kampf ist also kein Kampf, wie wir ihn uns intuitiv vorstellen oder von Hollywood-Filmen her kennen - mit Boxhandschuhen den K.-o.-Schlag zu landen versuchend. Der Kampf findet statt, indem wir die Boxhandschuhe weglegen und von uns weg auf Jesus schauen. Nicht dass wir gewinnen, sondern dass wir uns von ihm gewinnen lassen.


Der Blick auf Jesus - die einzige Strategie

Wie muss man sich das jetzt vorstellen? Wie zapfen wir diese Kraftquelle an, die nicht in uns, sondern in Jesus Christus liegt, so dass unser Herz tatsächlich verändert wird?

Let faith look in Christ in the gospel ... (Seite 83)

Wir schauen Jesus Christus an. Wie? So wie er sich gezeigt hat, als er auf unsere (oder war es seine?) Welt kam, für uns lebte und für uns starb. Wie können wir das tun? Nur im Glauben, indem wir dem Zeugnis der Apostel und der Selbstoffenbarung Gottes in der Bibel Vertrauen schenken. So wie die Bibel Jesus beschreibt, so ist er. Und im Glauben dürfen wir das 'sehen'. Bei Owen hat glauben viel mit einer geistlich wachen Sicht zu tun, damit, unser inneres Auge auf die geistlichen Realitäten zu richten, die Gott uns in Jesus zeigt. Das ist fast so, als würden wir zu sehen beginnen, als würde das Evangelium nicht mehr schwarz-weiss, sondern plötzlich farbig werden. Wir schauen auf Jesus und unser Herz schmelzt wie Wachs. Dann sind wir plötzlich nicht mehr dieselben und die Lust, die uns so einnahm, verliert ihren Einfluss.


Nun gäbe es so viele Aspekte von Jesus, die wir anschauen könnten. [2| Für die konkrete Aufgabe hier (das Abtöten der Sünde in uns) schlägt Owen vor allem zwei Blickwinkel vor.


Wir schauen auf Jesus, den gnädigen, barmherzigen und mitfühlenden Hohepriester, wie er im Hebräerbrief 2,17-18 beschrieben wird.

Jesus Christ, on the account of his mercifulness as our high priest, will be more available to the ruin of thy lust and distemper, and have a better and speedier issue, than all the rigidest means of self-maceration that ever any of the sons of men engaged themselves into. (S. 79)

Wie krass ist es, dass Gott ganz Mensch wurde und erlebte, wie es sich anfühlt Mensch zu sein? "Jesus ist ja nicht ein Hoherpriester, der uns in unserer Schwachheit nicht verstehen könnte. Vielmehr war er – genau wie wir – Versuchungen aller Art ausgesetzt, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass er ohne Sünde blieb." (Hebr. 4,15) Trotzdem blieb er ganz Gott. Beides zusammen macht die Musik: Jesus ist unglaublich gnädig, mitfühlend und gleichzeitig über die Massen fähig, uns zu retten.


Dann schauen wir auch auf Jesus in seinem Sterben am Kreuz:

Act faith peculiarly upon the death, blood, and cross of Christ; that is, on Christ as crucified and slain. Mortification of sin is peculiarly from the death of Christ. It is one peculiar, yea, eminent end of the death of Christ, which shall assuredly be accomplished by it. He died to destroy the works of the devil. Whatever came upon our natures by his [the devil's] first temptation, whatever receives strength in our persons by his daily suggestions, Christ died to destroy it. (Seite 83)

Auch wenn uns das zunächst vielleicht schräg vorkommen sollte - das mit dem Blut und so - folgt Owen hier nur einer Spur, die in der Bibel schon lange gelegt ist. "Das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde." (1. Johannes 1,7) Oder "um wie viel mehr wird dann das Blut Christi, der sich selbst als Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott!" (Hebräer 9,14)

This is that we aim at, this we are in pursuit of, that our consciences may be purged from dead works, that they may be rooted out, destroyed, and have no place in us nor more. (Seite 84)

Dabei geht es nicht darum, sich die Kreuzigung möglichst blutig vorzustellen. Auch wenn die Kreuzigung brutal war, die Bibel ist kein Tarantino-Movie (und auch kein Mel Gibson, wenn wir schon dabei sind) - ihr geht es nicht darum, Blut und Brutalität zu zelebrieren. Das Blutige des Kreuzes wird stets theologisch gedeutet. Das abgrundtiefe Leiden Jesu wir daraufhin ausgelegt, was es für uns bewirkt hat. Das sollen wir meditieren: "Er ist es ja, der sich selbst für uns hingegeben hat, um uns von einem Leben der Auflehnung gegen Gottes Ordnungen loszukaufen und von aller Schuld zu reinigen und uns auf diese Weise zu seinem Volk zu machen, zu einem Volk, das ihm allein gehört und das sich voll Eifer bemüht, Gutes zu tun." (Titus 2,14; siehe auch Eph 5,25-27)


Jesu Leiden wird nicht abgeschwächt, aber es ist nicht das Leiden als Leiden, das im Vordergrund steht, sondern das Resultat seines Leidens und die krasse Haltung Jesu, dass er diesen Leidensweg überhaupt eingeschlagen hat. "In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade." (Epheser 1,7)


Macht das was mit uns? Bewegt es uns, gerade dann wenn wir gesündigt haben? Sollte es eigentlich, denn der Tod Jesu ist für uns Christen nicht (nur) ein Event, das vor 2000 Jahren einmal stattgefunden hat. Es ist eine existenzielle Realität, sind wir doch in den Tod Christ mit hineingenommen (getauft, wie Paulus es haben will). "Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, in seinen Tod getauft sind?" (Römer 6,3) Darum: "Was wollen wir hierzu sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wir sind doch der Sünde gestorben. Wie können wir noch in ihr leben?" (Römer 6,1-2) Je mehr wir diese existenzielle Realität meditieren, desto mehr wird sie auch für uns heute ganz real (auch wenn der Tod jesu zweitausend Jahre zurückliegt). Hier haben wir eine Medizin, die wir täglich einnehmen könnten:

Let faith look in Christ in the gospel as he is set forth dying and crucified for us. Look on him under the weight of our sins, praying, bleeding, dying; bring him in that condition into thy heart by faith; apply his blood so shed to thy corruptions; do this daily. (Seite 83)

So und nicht anders geht Kämpfen! Wir schauen auf Jesus, den Gekreuzigten, der uns durch die Apostel vor Augen gemalt wird (siehe Galater 3,1). Beten wir, dass der Heilige Geist uns dabei hilft, dass wir nicht schwarz-weiss, sondern in klaren und hellen Farben zu sehen beginnen und dass das Evangelium Gottes von seinem Sohn uns in der Tiefe unseres Herzens berührt - und auf diese Weise aufrichtet, auf den rechten Weg bringt und mehr und mehr umgestaltet, so dass wir die Sünde lassen und das Gute wollen und tun.


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[1] Ich verwende hier The Works of John Owen, Volume VI, herausgegeben von William H. Goold. Seitenzahlen beziehen sich auf diese Gesamtausgabe.


[2| Ein wunderbares Buch, das viele Aspekte von Christus beschreibt, stammt auch aus der Feder John Owen's und trägt den Titel The Glory of Christ.


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