Warnung! Dieser Artikel kann Spuren von Theologie enthalten. Alle Allergiker lesen bitte die Packungsbeilage oder beschränken sich auf die Bilder, die aber bekanntlich stärker wirken als Worte.
Eine der häufigsten Fragen, die ich als Theologe gestellt bekomme? 'Was hat Theologie mit einem bodenständigen Alltagsglauben zu tun?' 'Befasst sich Theologie nicht mit Themen, die für das praktische Leben letztlich wenig Bedeutung haben?' Als Subtext solcher Fragen meine ich häufig hören zu können, dass Theologie schon ok ist für uns Intellektuellen - bis zu einem gewissen Grad. Fürs christliche Alltagsgeschäft aber brauchen wir was Handfesteres als Theologie. Vielleicht tun's ja gute Jüngerschaftsprogramme, praktisch-psychologische Modelle, konkrete Action Steps oder spirituelle Disziplinen. Häufig scheint eine Art Vorstellung mitzuschwingen, dass der Herr Theologe zu sehr in seinem Kopf lebt und zu wenig aus dem Bauch heraus und mit seinen Händen. Manchmal höre ich auch die Befürchtung heraus, dass Theologie doch nur in ein liberales Christsein führt, abseits vom wahren geistlichen Leben. Und wenn wir nicht so grossen Wert auf theologische Unterscheidungen geben würden, hätten wir auch weniger Entzweiung. Unser Fokus sollte doch bitte die christliche Einheit sein und nicht irgendwelche verstaubten theologischen Positionen, die nur trennen anstatt verbinden.
Der Theologe und Pastor Brian Kay stellt dazu etwas Interessantes fest. Was würde passieren, wenn man die klassisch-christliche Trinitätslehre einfach mal ausklammern würde? Die allermeisten Formen christlicher Spiritualität würden sehr wahrscheinlich unverändert fortbestehen. Und man kann sich tatsächlich fragen: Was um alles in der Welt hat die Trinitätslehre mit meinem Glauben und Leben als Christ zu tun? Gewiss, es ist nicht jedermanns Sache, in die Tiefen der Nuancen zwischen 'homosious' und 'homoiousious' einzutauchen (das hat nichts mit Humus zu tun). Doch, spielt es für unseren Glauben eine Rolle, dass sich unser Gott als dreieiniger Gott - Vater, Sohn und Geist - offenbart hat? Und wenn es eine Rolle spielen würde, wie würde dies unser Gebetsleben, unsere Gottesdienste, unsere Beziehung zu diesem dreieinigen Gott beeinflussen? Vorneweg, ich meine ja, es spielt eine Rolle! Gerade weil der christliche Gott sich als dreieiniger Gott vorstellt, hat dies sehr viel mit christlicher Spiritualität zu tun. Wie wir diesem Gott begegnen, wie wir ihn kennen und wie wir ihn anbeten.
Theologie hat keinen leichten Stand heutzutage. Und dieses Problem hat im weiteren Sinne mit der leidigen Entzweiung von Theorie und Praxis zu tun. Auf der einen Seite gibt es die theoretischen Einsteins, die sich in abstrakten Denksystemen bewegen (und dabei die Gravitationstheorie widerlegen, indem sie nämlich die Bodenhaftung verlieren und abheben). Auf der anderen Seite wuseln die praktischen Mutter Teresas - Menschen, die anpacken und umsetzen. Und nicht selten besteht eine Feindschaft, oder so doch wenigstens ein gewisses Argwöhnen gegenüber der anderen Seite. An modernen christlich-evangelikalen Akademien hat man dies längst gecheckt und strebt nach einer Wiedervereinigung beider Pole, indem man den theologischen um den gemeindepraktischen oder persönlich-spirituellen Fächerkatalog erweitert hat. Doch immer noch steht dabei Theologie fürs Theoretische und Gemeindebau oder Spiritualität fürs Praktische.
Früher war's nicht so. Man lese nur mal den Epheserbrief, inter alia. Paulus scheint keinerlei Schwierigkeiten zu haben, seine tief theologischen Ausführungen in Doxologie (= Anbetung) mäandrieren zu lassen. Ich stelle mir einen Theologen mit Doktorhut vor, der singt und tanzt. Ja, ein Theologe, der zu diesem Gott singt, über den er theologisiert - und der über seiner Theologie tanzt. Und es soll mir keiner sagen, der Epheserbrief sei nicht theologisch. Der Epheserbrief ist aber auch Gebet, Fürbitte, Ermahnung und Ermutigung, Anweisung und eben Anbetung - und dies alles mühelos gleichzeitig. Es wäre, als gäbe es noch keine schön vorgefertigten Kästchen, in die man dann die Einzelteile säuberlich verstauen könnte. Und es muss doch jedem irgendwie auffallen, dass der dicht theologisch verwobene Gehalt des Epheserbriefs gerade den Teppich bereitstellt, mit dem Paulus zu geistlichen Höhen hinauffliegt. Paulus gibt uns hier ein Maßband zur Hand, um die Länge, Breite, Höhe und Tiefe von Gottes Liebe zu ermessen - und dieses Band trägt die Aufschrift 'denke intensiv darüber nach und meditiere darüber'. Ganz klar, Gottes Liebe übersteigt unser rationales Erkenntnisvermögen und ist letztlich der Kraftwirkung des Geistes zuzuschreiben. Doch führt ein Erkennen nicht am Denken vorbei, als könnte man durch eine mystisch-kontemplative Leiter den Verstand ausschalten und als überschüssiges Gepäck zurücklassen. Dasselbige gilt selbstverständlich nicht nur für den Epheserbrief. Wie steht es beispielsweise mit einem praktisch-orientierten Schreiben wie dem Jakobusbrief? Es ist vollgespickt mit theologischen Aussagen über Gott, den Menschen und das christliche Leben vor Gott. Und die Geschichtsbücher der Bibel? Sie vermitteln Theologie, Theologie in Aktion, gekleidet in Geschichte.
Es drängt sich allmählich die Frage auf, was denn Theologie genau sein soll. Theologie bedeutet wortwörtlich die Rede oder die Lehre (logos) von oder über Gott (theos). Somit ist eigentlich jeder, der etwas über Gott sagt, oder der über Gott nachdenkt ein Theologe. Ich würde meinen, das schliesst im wesentlichen die ganze Menschheit mit ein. Gewiss, die einen theologisieren im akademischen Kämmerlein, die anderen am Stammtisch. Biblische Theologie aber schliesst noch mehr mit ein als bares Reden über Gott. Für den Theologen und Kirchenvater Augustinus hieß Theologisieren in Essenz, den christlichen Gott besser kennenzulernen. Man könnte sagen, dass für Augustinus galt, 'je besser du diesen Gott kennst, desto mehr Grund und Motivation hast du, um ihn zu lieben und anzubeten'. In seinem hochtheologischen und nicht unbedingt stammtischfähigen Buch De Trinitate (über die Trinität) unterscheidet Augustinus zwischen scientia (einer Art wissenschaftlichen, logisch-rationalen Erkenntnis) und sapientia (einer kontemplativen Erkenntnis, die durch Liebe, Verlangen und Anbetung charakterisiert wird). Was wir Christen vor allem brauchen ist sapientia, eine Erkenntnis von Gott, die Bewunderung und Anbetung, Liebe und Ehrfurcht in uns hervorruft (hier kommt wieder der Epheserbrief in den Sinn). Wohlgemerkt, diese Art von Erkennen führt eben nicht an Theologie vorbei. Augustinus war kein neoplatonischer Mystiker, der Gott in einer 'Wolke des Nichtwissens', irgendwo tief im menschlich Subrationalen zu finden pflegte. Nein, Augustinus war ein Theologe. Einer, der Gott in den Zeilen der Schrift fand. Augustinus las seine Bibel und versuchte zu verstehen, wer dieser Gott ist und wie er tickt. Er verstand die Bibel als ein Buch Gottes und ein Buch über Gott, über sein Wesen, sein Handeln, sein Wollen und Denken. Und mehr als andere ging es ihm darum, diesen Gott zu verstehen, so weit wie dies für uns Menschen halt möglich ist.
Das ist Theologie! Ich will meinen Gott besser kennenlernen! Christlicher Glaube ohne Theologie ist wie Sex ohne Worte. Es fehlt die Beziehung, denn ich möchte die Person, mit der ich intim werde, doch durch und durch kennen. Umgekehrt gilt aber auch, Theologie ohne Gebet und Anbetung, ohne Ehrfurcht und Liebe, ist wie eine Ehe ohne Sex. Ja, ich gebe es zu - Theologie kann zu kopflastig sein (und manchmal ist sie vor allem akademisch - auch das hat seine Berechtigung). Viel eher aber begegnet mir die Haltung, dass christlicher Glaube doch lieber nicht zu fassbar, nicht zu konkret ausdefiniert, eben nicht zu theologisch sein dürfe. Dass wir Gott nicht zu sehr mit menschlichen Worten beschreiben sollen. Christlicher Glaube sollte doch vor allem erlebbar, spürbar und praktisch oder gesellschaftlich relevant sein. Was würden Paulus und Augustinus wohl dazu sagen?
Meine Beobachtung ist, dass wir Christen von vielen anderen Dingen reden, anstatt von Gott. Wir reden vom Königreich, aber nicht vom König. Wir reden vom christlichen Leben, aber nicht vom Heiligen Geist, der dieses Leben bewirkt. Wir reden von Kirche, praktischem Gemeindebau und Mission, aber nicht von dem, der die Kirche baut und dessen Mission es ultimativ ist. Wir reden von unseren Persönlichkeitsprofilen und geistlichen Gaben, aber nicht über unsere Identität in Christus. Wir reden oftmals von uns selbst und von dieser Welt, aber nicht von Gott. Warum? Fehlt uns der Wortschatz?
Paulus und Augustinus aber reden primär von Gott - und erst dann vom Menschen coram Deo (vor Gottes Angesicht)! Und jetzt kommen wir zurück zur Trinität. Gott ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. So stellte er sich uns vor, so können wir ihn kennen. Und wie wissen wir das konkret? So plump und evangelikal es tönen mag. Indem wir die Bibel lesen. Indem wir Gottes Handeln in der Geschichte mit seinem Volk meditieren. Indem wir Jesus Christus zuhören, wie er vom Reich Gottes lehrt, wie er seinen Tod und seine Auferstehung interpretiert, wie er über die Zukunft nachdenkt und wie er dadurch seinen Vater offenbart. Wenn ich wissen will, was Gott bewegt, wie er denkt und handelt, dann muss ich doch dorthin schauen, wo er Spuren hinterlassen hat. Und nicht nur Spuren, sondern Worte, seine Worte. Und dann erkenne ich, dass der Vater, der Sohn und der Heilige Geist gemeinsam und in unterschiedlichen Rollen und auf unterschiedliche Art und Weise in Raum und Zeit gehandelt haben. Für uns gehandelt, damit wir in eine Beziehung mit diesem dreieinigen Gott treten dürfen, damit wir ihn lieben und anbeten können - und dies unterschiedlich als Vater, Sohn und Heiliger Geist, und doch als den einen Gott. Was für ein Reichtum an Beziehung und an Erkenntnis wir damit haben! Was für ein Wortschatz uns hiermit eröffnet wird!
Was löst mehr Bewunderung und Anbetung aus? Mir Gott im Abstrakten vorzustellen, dass er irgendwie allmächtig, ewig oder allgegenwärtig ist? Oder mir zu vergegenwärtigen, dass Gott der Vater mich so geliebt hat, dass sein Sohn für mich Mensch wurde und für mich unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, auferstanden und an die rechte Seite des Vaters aufgefahren ist, um von dort den Heiligen Geist zu senden, der jetzt in mir wohnt? Man könnte genauso gut fragen, was stärker nachwirkt: Sternstunde Philosophie oder Hollywood? Der mysteriöse Gott des Universums, dessen Gestalt und Charakter wir nur erahnen können, offenbart sich in der Heilsgeschichte so konkret, dass seine Liebe tatsächlich Fleisch und Blut annimmt. Wenn wir dies begreifen, befinden wir uns ganz in der Nähe eines Paulus, der im Epheserbrief so tiefgehend über diesen dreieinigen Gott und seine Liebe sinniert. Genau darum geht es bei Theologie. Und am Ende glaube ich, wird dies unweigerlich in Doxologie münden, in Gesang und Tanz. Und nicht zuletzt ihn praktische Nächstenliebe, motiviert durch diesen Gott, den wir so konkret kennen dürfen!
Beim Nachsinnen über dieses Thema habe ich mich aus Brian Kay's Kapitel 'The Old Divorce of Spirituality from Theology' aus seinem Buch 'Trinitarian Spirituality' inspirieren lassen.
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