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  • matt studer

Israels Rolle im Heilsplan Gottes - Drei mögliche evangelikale Positionen


Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, wird ganz Israel gerettet werden.

(Römer 11,26)



Welche Rolle nimmt Israel, das ethnische Israel, in Gottes Heilsplan ein? Wie sieht seine Rolle im neuen Bund aus und was bedeutet das für seine (nationale) Zukunft? Fragen dieser Art bergen das Potenzial, unsere (evangelikalen) Gemüter recht stark zu erhitzen. Manchmal wird, wer sich nicht hinter eine ganz bestimmte Israeltheologie stellt, gar als 'Verräter' an Israel betitelt. Und mit dem Label 'Ersatztheologie' gelingt es immer wieder, andere theologische Meinungen als 'unbiblisch' abzutun, ohne dass man die Argumente wirklich angehört hätte.


Mein Ziel mit diesem Artikel ist es zu zeigen, dass es nicht DIE eine Israeltheologie gibt. Dabei beschränke ich mich auf das evangelikale Lager. [1] Warum dieses Unterfangen? Der erste Grund lautet, 'um aufzuklären'. Wer immer nur in seiner Ecke sitzt und nie die anderen Positionen zu Wort kommen lässt, dem entgeht die Möglichkeit, an Reibung zu wachsen. Der zweite Grund ist, dass ich fest der Meinung bin, dass man bei diesem hoch komplexen Thema verschiedene Meinungen zulassen sollte. Einerseits reicht ein Blick in die Geschichte um zu sehen, dass man hier immer schon zu unterschiedlichen Lösungen gekommen ist. Eine solche Erkenntnis könnte uns vielleicht demütiger stimmen und uns helfen, Andersdenkende nicht gleich mit dem Schwert niederzumachen. Andererseits ist das Thema nicht heilsentscheidend. Deshalb meine ich und erlebe das auch so, dass ich mit einem Bruder, der hier anders denkt, am Ende so viel Gemeinsames teile. Wir können gerade aktuell auch gemeinsam für Israel sein - und damit gegen einen radikalen Islam, der die Juden zu zerstören versucht. Unterschiede in unserer Theologie was das Volk der Juden in Gottes Heilsplan anbelangt, sollten auf der Grundlage der Bibel geführt werden, nicht auf dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse.


Welche Positionen tummeln sich also auf der evangelikalen Wiese? Es sind deren drei, grob gesagt. Der Dispensationalismus, die klassisch-reformatorische Bundestheologie sowie eine neuere theologische Entwicklung, die sich als 'progressive Bundestheologie' (progressive covenantalism) bezeichnet. [2] Wieder einmal findet die Diskussion vor allem auf der anderen Seite des grossen Teichs statt. Aber gerade darum könnte sie auch für uns wertvoll sein. Dort wo gehobelt wird fallen Späne, werden Positionen geschärft und artikuliert. Wir können davon profitieren. Das ist auf jeden Fall meine Hoffnung für diesen Artikel.



Dispensationalismus: Israel und die Kirche sind zwei komplett unterschiedliche Hüte

'Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen?' - so lautete die rhetorische Frage Tertullians, der sich damit gegen eine Integration von griechischer Philosophie mit dem Christentum aussprach. In Bezug auf den Dispensationalismus fragen wir ähnlich: 'Was hat Jerusalem mit der Kirche zu tun?' Die dispensationalistische Antwort auf diese Frage lautet: wenig! Gehen wir diesem 'wenig' etwas auf die Spur.


Das dispensationalistische System geht auf John N. Darby (1800-1882) zurück. Darby, ein irischer Theologe und Pastor in der Brüdergemeinde, glaubte aufgrund seiner Studien des Jesajabuches (vor allem Kapitel 32), dass Israel die 'volle' Erfüllung der prophetischen Verheissungen in einer noch zukünftigen Dispensation, einem in der Zukunft liegenden Zeitabschnitt erfahren werde. Darby sah das tausendjährige Reich dafür vor. Christus werde zurückkommen und als davidischer König die israelische Nation wieder aufrichten. Unter seiner Herrschaft werde Israel noch einmal so richtig aufblühen und dadurch zum Segen für die Nationen werden (ebenfalls gemäss der prophetischen Verheissung). Und die Kirche? Die darf beim tausendjährigen Reich schon auch mitmachen, aber immer 'in Unterscheidung' zu Israel. Das heisst, obwohl die Kirche des apostolischen Zeitalters als EINE transnationale Gemeinschaft aus Juden und Heiden gebildet wird, wird im tausendj. Reich der nationale Aspekt wieder stärker hervortreten. Der Theologe Stephen Wellum meint:

Gläubige Juden und Nichtjuden, aus denen die Kirche jetzt besteht, werden sich [im 1000jährigen Reich] entweder wieder den Erlösten des nationalen Israels oder dann den nichtjüdischen Nationen anschließen, um gemäß ihrer jeweiligen nationalen Identität ... unter der Herrschaft Christi zu leben.

Aus diesem Grund wird das tausendjährige Reich jüdisch geprägt sein: ein davidischer König in Jerusalem, ein neu aufgebauter Tempel sowie ein Comeback des Priestertums, um nur ein paar Aspekte zu nennen. Hinter dieser Denkart liegt auch die Annahme, dass die prophetischen Verheissungen an Israel sich alle 'wortwörtlich' erfüllen müssen, damit sie als erfüllt gelten können. Wortwörtlich impliziert, dass alle Verheissungen, die einen nationalen Charakter trugen (Landverheissungen, Tempel, davidischer König) sich eben auch national erfüllen müssen (selbst wenn man sie daneben auch 'geistlich' auf die Kirche übertragen kann). Gewiss haben sich einige Verheissungen des Alten Bundes mit dem ersten Kommen des Messias bereits erfüllt: die Sündenvergebung, die Ausgiessung des Geistes, u.a.. Andere dagegen warten noch auf ihre volle Erfüllung, wenn der Messias zurückkehren wird.


Man könnte das Ganze so auf den Punkt bringen: Alle nationalen Verheissungen können sich nicht in der Kirche erfüllen weil die Kirche nicht Israel ist. Diese klare Unterscheidung von Israel und Kirche wird im dispensationalistischen System konsequent durchgezogen, wie Wellum schreibt: [3]

Bei allen Spielarten des Dispensationalismus bezieht sich Israel immer auf ein ethnisches, nationales Volk und die Kirche ist niemals das verwandelte, wiederhergestellte, eschatologische Israel im Plan Gottes. Die Erlösung der Heiden ist nicht Teil der Erfüllung der Versprechen, die Israel als Nation gemacht wurden und die jetzt in der Kirche verwirklicht werden. Stattdessen hat Gott dem Volk Israel im Bund mit Abraham - und durch die Propheten bekräftigt - den Besitz des gelobten Landes unter der Herrschaft Christi versprochen, was noch einer zukünftigen Erfüllung ... bedarf.

Eines muss noch erwähnt werden. Als Christen, die die Bibel lesen, versuchen wir alle, der progressiven Entwicklung der göttlichen Heilsgeschichte gerecht zu werden. Vor allem das erste Kommen des Messias, das den jüdischen Erwartungen damals nicht gerecht wurde, brachte die Apostel schön ins Schwitzen. Als Jesus das erste Mal auf die Welt kam, fehlten die nationalen Aspekte: Der Tempel war nunmehr überflüssig, keine Landbefreiung in Sicht, man konnte nur eine kleine Schar Jünger jenseits des jüdischen Etablissements beobachten, die dann den Grundstein für die apostolische Kirche legten. Die grundsätzliche Frage, die sich stellt, wenn wir die Entwicklung der Heilsgeschichte unter die Lupe nehmen ist: Reden wir besser von Kontinuität oder von Diskontinuität? Für den Dispensationalismus klar vom Zweiten. Das Zeitalter der Kirche ist eine neue Spielart Gottes. Aber Gott hat seine nationalen Ideen mit Israel nicht vergessen. Er wird den Faden am Ende der Tage wieder aufgreifen. Insofern wird das aktuelle Zeitfenster der Kirche, das nun seit mehr als zweitausend Jahren andauert, als ein 'Einschub' in Gottes Heilsplan verstanden.



Die klassische (reformatorische) Bundestheologie: Die Kirche ist das neue Israel

Im Gegensatz zum Dispensationalismus betont die Bundestheologie eine Kontinuität in Gottes fortschreitendem Heilsplan: Die Kirche ist eine direkte Fortsetzung Israels im Plan Gottes, kein Einschub. Gottes Plan entwickelt sich weiter - und das Kommen des Messias transformierte die einzigartige Rolle, die Israel im Alten Bund innehatte. [4]


Die Wurzeln dieser Theologie liegen in der Reformation und der post-reformatorischen Zeit. Man las und organisierte die biblische Story anhand der Bünde Gottes, insbesondere dem Schöpfungsbund, den Gott mit Adam schloss und dem Bund der Gnade, den Gott den Menschen durch Christus eröffnete. Der Adamsbund gilt als ein 'Bund der Werke', der durch Adams 'Werk des Ungehorsams' zu Sünde und Tod für alle Menschen geführt hat. Um dies wieder 'rückgängig' zu machen, trat Gott mit seinen Leuten in einen Bund der Gnade, der im Alten Testament verschiedene Varianten oder Administrationen (Noah, Abraham, Mose/Sinai, u. a.) durchlief, bis er dann im Neuen Bund gipfelte. Es ist vor allem die Kontinuität des Gnadenbundes über all diese verschiedenen Bundesstationen, die zu einer Kontinuität zwischen Israel und der Gemeinde führen. Wellum fasst zusammen:

Während die Bundestheologie davon ausgeht, dass es biblische Bündnisse gibt, tendiert sie dazu, die Pluralität der Bündnisse von Adam bis Christus unter der übergeordneten Kategorie des sogenannten Gnadenbundes zusammenzufassen. Dadurch wird im Gegensatz zum Dispensationalismus die Kontinuität zwischen Israel und der Kirche betont, so dass beide von Natur aus im Wesentlichen gleich sind, jedoch unterschiedlich verwaltet werden. [5]

Israel wurde vor allem durch den mosaischen Bund 'verwaltet', durch ein verflochtenes System von Königtum, Priestertum und Prophetentum. Jesus Christus erfüllt alle diese Funktionen und wird zum König, Priester und Propheten des Neuen Bundes. Die Kirche aus Juden und Heiden ist die Fortführung des Volkes Israels unter der Dispensation des Neuen Bundes in Christus. Darum werden alle national-israelischen Bezeichnungen im Neuen Testament auf die Kirche angewendet (z. B. 1. Petr. 2,9). Von daher folgt der meist negativ konotierte Titel 'Ersatztheologie': Die Kirche ersetz Israel im Heilsplan Gottes. Die Kirche ist Israel, das neue Israel im neuen Bund. Dabei müssen wir sehen, dass die Kirche zuerst aus Juden bestand, den Jüngern und Aposteln, die Jesus nachfolgten - und dass die Heiden erst danach 'eingepfropft' wurden. Die Gemeinde als eine Gemeinschaft mit Juden und Heiden ist das heilsgeschichtliche Geheimnis Gottes, das in Christus offenbar wurde und das Paulus so gern referierte (z.B. Eph. 2). Diese Lesart der Heilsgeschichte ist nicht nur kirchengeschichtlich viel länger etabliert, sie geht auch gut mit dem Flow der biblischen Story (das ist jedenfalls meine Meinung). Denn wie ich es drehe oder wende: die krasse Zweiteilung, die der Dispensationalismus vornimmt, wirkt für mich irgendwie als Konstrukt, das ich voraussetzen muss, wenn ich das Neue Testament lese. Sprich, die Zweiteilung springt mich nicht direkt aus den Zeilen des Textes an. Wie aber geht es mit dem ethnischen Israel weiter, gemäss der klassischen Bundestheologie? In Bezug auf Römer Kap. 9-11 schliessen viele Ausleger eine zukünftige Wendung für Israel nicht aus. Diese Wendung bezieht man hier aber auf die Bekehrung und Integration von Israel in die Kirche in Christus, nicht in eine zukünftig jüdisch-nationale Wiederherstellung des Alten Bundes.



Die progressive Bundestheologie: zwar kein Mittelweg, aber ein Gesprächspartner mit Nuancen

Die 'progressive' Bundestheologie ist einiges näher bei der klassischen Bundestheologie als beim Dispensationlismus, was die Rolle Israels im göttlichen Heilsplan unter dem neuen Bund und in der Zukunft anbelangt. Von daher wäre Mittelweg wohl der falsche Begriff. Und doch werden hier theologisch wichtige Unterscheidungen vorgenommen, die der Diskussion helfen könnten.


Zunächst einmal versucht man die einzelnen Bündnisse des AT nicht zuerst unter einem generellen 'Gnadenbund' (Kontinuität) zu fassen, sondern achtet auf die Individualität und die partikularen Aspekte der einzelnen Bünde und wie diese konkret in den Flow der biblischen Story passen (Kontinuität und Diskontinuität). Und in dieser Story kommt Israel nun mal eine partikulare Rolle zu, wie Wellum meint:

Gott hat [heute] ein Volk, dennoch gibt es zwischen Israel und der Kirche aufgrund ihrer jeweiligen Bündnisse einen Unterschied.

In dem Sinne hatte Israel seine eigene theokratische Struktur, eigene Bundesmerkmale (wie die Beschneidung), das Gesetz des Mose, und anderes mehr. Und darum kann man nicht sagen, dass die Kirche die direkte Fortführung Israels sei. Denn die Kirche hat keine theokratische Struktur, keine Beschneidung, beugt sich nicht mehr den Bedingungen des mosaischen Gesetzes, ... [6] Die Kirche ist auf eine Art und Weise eine fundamental neue Realität in Gottes Heilsplan. Noch einmal Wellum:

Die Kirche ist nicht direkt das „neue Israel“ oder sein Ersatz. Vielmehr ist die Kirche in Christus Gottes neue Schöpfung, bestehend aus gläubigen Juden und Heiden, denn Jesus ist der letzte Adam und das wahre Israel, der treue Same Abrahams, der durch sein Werk die Verheißungen erbt (Gal. 3,16; Eph. 2,11-22). Somit ist die Kirche ... ein neues Bundesvolk in Kontinuität mit den Auserwählten aller Zeiten, unterscheidet sich jedoch in ihrer Natur und Struktur von Israel. Nun stehen in Christus sowohl gläubige ethnische Juden als auch Heiden gleichermaßen zusammen und erben alle Verheißungen Gottes in ihm (Gal. 3,26-4,7).

Die Kirche ist heilgeschichtlich gesehen eine radikal neue Entität. Denn sie ist eine neue Schöpfung (2. Kor. 5,17; Gal. 6,15), eine neue und geisterfüllte Menschheit in Christus (Eph. 2,15). Und das verbindende Glied zwischen dem Israel des Alten Bundes und der Kirche des Neuen Bundes ist niemand Geringeres als Jesus Christus. [7] William Kynes fasst es es für uns in Worte:

Die Beziehung zwischen der Kirche und Israel ... ist weder eine [Beziehung] der direkten Nachfolge noch eine der radikalen Trennung, sondern eine Beziehung der vermittelten Kontinuität. Man kann die Kirche als das „wahre Israel“ bezeichnen, aber ihre Kontinuität mit dem verworfenen Israel findet sich in der repräsentativen Gestalt von Christus, der die Heilsgeschichte überbrückt und gleichzeitig erfüllt. (aus A Christology of Solidarity: Jesus as the Representative of His Pepe in Matthew, S. 202).

Meine (dispensationalistischen) Leser mögen diese feinen Nuancen hier als Theologen-Geschwätz abtun, ändert sich ja nichts an der Tatsache, dass auch bei der progressiven Bundestheologie die Kirche Israel - wenn auch nicht direkt, dann doch indirekt - ablöst und das ethnische Israel keine eschatologisch-nationale Zukunft mehr hat (auf jeden Fall. keine, die das Rad der Heilsgeschichte wieder um zweitausend Jahre zurückdrehen würde). Für mich dagegen bietet die progressive Bundestheologie einen guten Boden, um besser und biblischer über Gottes Heilsgeschichte nachdenken zu können.



Aber was geschieht mit Israel ganz am Ende? Römer 9-11 im Gespräch

Das Neue Testament spricht erschreckend wenig über die Zukunft des nationalen Israels. Müsste sie nicht gemäss der dispensationalistischen Prioritätengebung weit gründlicher vom Thema reden? Oder ist das Neue Testament nur für die Kirche geschrieben, nicht für Israel?


Es gibt eine sehr wichtige Sequenz, in der die Thematik Israel und Kirche angeschnitten wird: im Römerbrief Kapitel 9-11. Natürlich können wir dieser Sequenz hier unmöglich gerecht werden. Vielleicht reicht es, wenn wir das Anliegen das Paulus zusammenfassen: Paulus beschäftigte sich mit der drängenden Frage, was nun mit dem ethnischen Israel geschehen würde, nachdem es den Messias abgelehnt hatte. Ihn schmerzte die Realität, dass Gott natürliche Zweige aus dem Ölbaum herausgebrochen hatte. Was würde nun mit ihnen geschehen? Das Szenario mit dem Ölbaum gestaltet sich ja so, dass Gott anstelle der alten Zweige wilde, fremde Zweige (die Zweige der Heiden) einpfropft (von wegen Ersatztheologie). Doch macht Paulus Hoffnung, dass Gott diese abgebrochenen Zweige am Ende wieder einpfropfen wird, so dass 'ganz Israel' gerettet werden würde (Röm. 11,25). Die Bedingung für die jüdischen Zweige ist jedoch, dass 'sie nicht an ihrem Unglauben festhalten' (V. 23). Es gibt für Israel also kein Weg an Jesus vorbei - und, wenn wir das Bild des Ölbaums ernst nehmen wollen - auch keinen Weg an der Kirche vorbei. Denn die alten Zweige werden in exakt den Baum gepfropft, in dem schon die 'wilden' (die nicht-jüdischen) Zweige stecken (V. 23-24). Und für alle 'heidnischen' und jüdischen Christen gilt, dass alle Versprechen im Neuen Bund nun in und durch Christus zugänglich sind und er seinem Volk (aus Juden und Heiden) das Erbe vermacht (Röm. 4,12-17; 2. Kor. 6,16-7,1; Eph. 1,11-23). Um in der arborealen Metapher zu bleiben, der Saft kann nur durch den Stamm - Christus - sowohl zu den Juden, als auch zu den Heidenzweigen fliessen.

Darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, auf dass durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen. (Hebräer 9,15)

Das bedeutet nicht, dass die Juden ihre 'Jüdisch-sein' verlieren werden, so dass Gott sich nach all der Mühe um die kulturelle Vielfalt auf seinem Erdplaneten am Ende nur noch Einheitsmenschen schaffen würde. Mehr noch gehe ich davon aus, dass es sogar im Himmel kulturelle Unterschiede geben wird (Offenbarung 7,9-10). Aber die Realität des Neuen Bundes lautet auch: es gibt nun weder Juden noch Griechen (Galater 3,28). Heisst das nicht gerade, dass es nun nicht länger um irgendwelche nationalen Privilegien geht, darum, dass Israel noch einmal als Nation 'neben der Kirche' aufblühen soll? Wenn ich das Neue Testament richtig lese, sehe ich zwar kulturelle Vielfalt aber nur ein Volk. Die Zweigleisigkeit des göttlichen Plans, wie der Dispensationalismus es propagiert, steht für mich irgendwie quer zur Heilsrealität des Neuen Bundes in Christus.


Aber, und um nochmals auf das Ringen des Apostels Paulus zurückzukommen: Wie kann Gott Israel verwerfen? Paulus' Antwort hat zwei Komponenten. Erstens, zur Zeit Jesu (und auch schon davor) gehörte nie jeder Jude automatisch zum erwählten Gottesvolk. 'Denn nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel.' Römer 9,6) [8] Es kann also nicht davon die Rede sein, dass Gott seine Bundesversprechen rückgängig gemacht hat. Sie betrafen nun mal nur die, die ihm wirklich nachfolgten. Und zweitens, 'am Ende wird ganz Israel gerettet werden' (Röm. 11,26). Wenn dieser notorisch so schwer zu interpretierende Vers uns etwas zeigt, dann dass Gott doch noch irgendeinen Plan mit dem ethnischen Israel im Köcher führt. [9] Was auch immer 'ganz Israel' bedeutet und wann genau die 'Vollzahl der Heiden' erfüllt sein wird, die heilsgeschichtliche Sequenz geht wie folgt: Zuerst die Juden (das Volk Israel im AT), dann die Heiden (durch die Mission der Apostel) und zuletzt wieder die Juden. Damit sich diese Sequenz realisiert, braucht es nicht zwingend eine jüdische Zukunft des nationalen Israel unter der Herrschaft des Messias. Trotzdem zeigt diese Sequenz (bei all den vielen Punkten, die offen bleiben) auch, dass Gott seinen Tee mit Israel noch nicht ausgetrunken hat.



[1] In der Kirchengeschichte war es über weite Strecken der Amillenialismus, der den Ton angab, in Schach gehalten vom historischen Premillenialismus (der aber theologisch weit weg vom Dispensationalismus liegt), plus ein paar Stimmen, die einen Postmillenialismus vertraten.


[2] Das Attribut progressiv hat in diesem Kontext nichts mit liberal zu tun, sondern betont den fortschreitenden Charakter von Gottes Heilsgeschichte.


[3] Hier ist es interessant, die Entwicklungen innerhalb des dispensationalstischen Lagers zu beobachten. Einige Dispensationalisten glauben, dass die Verheissungen an Israel heute in der Kirche keine Erfüllung finden (klassische Dispensationalisten), während andere glauben, dass einige Bundesversprechen mit der Kirche teilweise erfüllt werden (progressive Dispensationalisten).


[4] Die meisten Vertreter dieser Interpretationslinie sind entweder Amillenialisten (es gibt kein Millennium) oder dann historische Premillenialisten (es gibt zwar ein Millennium, aber kein jüdisches, sondern ein christliches, wo Christus und die Kirche tausend Jahre regieren werden), und manchmal auch Postmillenialisten.


[5] Was die 'Verwaltung' betrifft, geht man in der Bundestheologie davon aus, dass die Kirche genau wie auch das Volk Israel eine 'gemischte Gesellschaft' aus Ungläubigen und Gläubigen ist. Und man impliziert, dass das alte Bundeszeichen der Beschneidung sich in der Taufe als Zeichen des Neuen Bundes fortführt. Von daher wird hier häufig die Säuglingstaufe vertreten. Es würde aber zu weit führen, diese Punkte zu vertiefen.


[6] Progressive Bundestheologen sehen nicht die Taufe als Pendant zur Beschneidung, sondern die 'innere Beschneidung des Herzens durch den Heiligen Geist'. Siehe dazu und zu weiteren Punkten dieser Theologie die Aufsätze in Progressive Covenantalism.


[7] Es bräuchte mindestens einen weiteren Artikel, um exegetisch wie auch biblisch-theologisch zu zeigen, wie Jesus das Volk Israel in seiner Person 'erfüllt'. Ich verweise daher auf den Aufsatz von Brent Parker in Progressive Covenantalism.


[8] So beobachten wir, dass Gott im Alten Testament häufig mit einem treuen 'Überrest' des sonst untreuen Volkes 'weiterarbeitet'.


[9] Ein neueres Buch, das verschiedene Positionen einander gegenüberstellt ist Compton und Naselli, Three Views on Israel and the Church: Perspectives on Romans 9-11.

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