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matt studer

'Hast du mich lieb' und 'kann ich meinen Willen durchsetzen'? Zwei Fragen, zwei Antworten


Der amerikanische Autor Dan B. Allender hat ein wunderbares Buch geschrieben mit dem Titel 'How Children Raise Parents' (wie Kinder ihre Eltern erziehen). Schon der Titel klingt erfrischend alternativ, so anders als die Bücher, die uns mit erfolgsversprechenden Strategien oder den richtigen Methoden fürs Elternsein beliefern wollen. Neben all dem, was Allender in seinem Buch sonst noch schreibt, habe ich mir dieses eine Goldnugget mitgenommen:

Beginnend mit seinem ersten Tag auf der Welt, stellt jedes Kind diese zwei Kernfragen: 'Bin ich geliebt?' und 'Darf ich meinen Willen haben?' Diese zwei Fragen begleiten uns unser ganzes Leben lang und die Antworten, die wir darauf bekommen bestimmen mit, wie wir unser Leben gestalten.

Dein Sohn sitzt müde am Tisch und bekundet, dass er einfach zu erledigt ist um seine Hausaufgaben noch zu erledigen. Was für eine Antwort braucht er? Deine Tochter schaut dich verschmitzt an und schmeisst ihre Schuhe weg anstatt sie anzuziehen. Was für eine Antwort braucht sie? Ist dein Sohn einfach zu faul und braucht darum eine klare Ansage: 'Mach jetzt endlich deine Aufgaben!'? Oder schwingt hier eine Angst mit, dass seine Leistung vielleicht ungenügend sein wird und er deswegen weniger geliebt wird? Die Aufgabe für uns Eltern ist nicht leicht. Kennen wir unsere Kinder gut genug, dass wir im Moment die prominentere der beiden Frage heraushören? Lesen wir unsere Kinder, hören wir ihnen wirklich zu, oder liefern wir die bereits vorgefertigten Antwortsätze?


Allender zeigt vier Möglichkeiten auf, wie diese beiden Kernfragen beantwortet werden können. Niemand von uns wir zu hundert Prozent in eines diese Modelle passen, klar. Sie sollen lediglich zur Veranschaulichung dienen. Die erste mögliche Antwort ist, 'Ja, du sollst deinen Willen haben' (man könnte auch verstehen 'Mach doch was du willst') und 'Nein, ich liebe dich nicht' (oder 'eigentlich bist du mir egal'). Wir spüren es bereits heraus, ein solches Familienklima wird Kinder dazu bewegen, anderswo nach Anerkennung und Grenzen (oder Grenzüberschreitungen) zu suchen. Eltern dieser Kategorie werden ihrem Elternsein nicht gerecht. Sie scheuen die Mühe, ihre Kinder zu erziehen, klare Grenzen aufzuzeigen und Konsequenzen durchzuziehen. Und ihnen fehlt die Freude und Liebe, um in ihre Kinder zu investieren. Allender meint: 'Diese Eltern reflektieren weder Gottes Stärke noch seine Gnade.' Gnade heisst, du bist komplett angenommen, mit all deinen Schwächen und Fehlern. Stärke bedeutet, du bist es mir wert, dass ich dich nicht einfach alles machen lasse, wenn ich weiss, dass es dir nicht gut tut!


Die zweite Antwort geht so: 'Ja, mach wie du willst' und 'Ja, du bist geliebt'. Ich denke, hier finden wir uns schon eher wieder. Eltern dieser Kategorie lieben ihre Kinder (natürlich), aber sie sind zu bequem, um sich täglich ins mühsame 'Erziehungs-Business' zu stürzen. Vielleicht haben sie Angst davor, dass die Kinder sie doof finden, wenn sie erzieherisch agieren. Sie zeigen ihre Liebe durch Geschenke oder coole Unternehmungen. Sie wollen es den Kindern recht machen. Im Gegenzug erwarten sie, dass die Kids kooperieren und von sich aus wissen, was sie richtigerweise tun sollen. Allender schreibt: 'Solche Kinder sind häufig selbstbewusst und kompetent, aber ihnen fehlen klare Überzeugungen und ein Charakter, der sich nur dann entwickeln kann, wenn man immer wieder gegen feste Grenzen stösst.'


Antwort Nr. 3: 'Nein, nicht so wie du willst' und 'du bist zwar unser Kind, aber nicht unsere Freude' (also eher, du bist eine Last!). Vielleicht sind dies die Koordinaten des klassisch konservativen Heims? 'Strenge Regeln, klare Konsequenzen und hohe Erwartungen und gleichzeitig wenig Wärme, Demut, Lachen und Tränen.' Den Eltern fehlt das Funkeln in den Augen, wenn sie ihren Kinder beim Spielen, Turnen und Toben zusehen. Dir Kinder sind da, sie werden auch geduldet, aber nicht wirklich als grosses Geschenk und als Gegenüber gesehen. Kinder, die so aufwachsen, leben äusserlich gemäss den Regeln, sie wirken brav, gut erzogen, leistungsfähig und diszipliniert. Was fehlt? 'Leidenschaft, Verspieltheit und Vision,' ... und wahrscheinlich noch so einiges mehr.


Die letzte Antwort ist offensichtlich die einzig richtige Antwort. Es ist die Antwort, die wir unseren Kindern schulden. 'Ja, du bist unglaublich geliebt' und 'Nein, es wird nicht immer nach deinem Willen laufen können'. Allender beschreibt: 'Unsere Kinder hungern danach zu wissen, dass sie bedingungslos geliebt sind, durch alles Scheitern und allen Erfolg hindurch. Und, auch wenn Wenige es zugeben würden, sehnen sie sich zutiefst danach, die Sicherheit und das Wohlbefinden zu erfahren, die nur eine Familienkultur mit klaren Leitplanken mit sich bringt.' Anders kann es nicht sein. Es ist lieblos (wenn auch bequem) keine Grenzen zu setzen, nicht nachzuhaken und die Kinder sich selbst zu überlassen. Wenn uns unsere Kinder nicht egal sind (siehe Antwort 1 und abgeschwächt Antwort 2), werden wir sie nicht im Rohzustand, in dem sie uns übergeben wurden, belassen wollen, auch wenn es in diesem Punkt enorm viel Weisheit und Ausdauer braucht. Und wenn wir unsere Kinder wirklich lieben, werden wir die Zeit und Energie investieren, die es braucht um wirklich eine Beziehung mit ihnen aufzubauen.


Dies sind die beiden Antworten, die auch der himmlische Vater seinem Sohn Jesus hier auf Erden gegeben hat. 'Aus dem Himmel sprach eine Stimme: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Freude.«' (Markus 1,11) Jesus hörte diesen Zuspruch seines Vaters direkt bevor er seinen öffentlichen Dienst antrat. So als würde der Vater ihm bestätigen wollen, dass er sein Sohn ist, unabhängig von dem, was er auf Erden leisten würde. Und weiter: 'Allerdings blieb es selbst ihm, dem Sohn Gottes, nicht erspart, durch Leiden zu lernen, was es bedeutet, gehorsam zu sein.' (Hebräer 5,9) Selbst Jesus lernte Gehorsam. Selbst für ihn lief es nicht immer so wie er wollte: 'Aber nicht mein Wille soll geschehen, sondern deiner.' (Lk 22,42) Jesus lebte in der unendlichen Liebe und Bestätigung und in den Leitplanken seines Vaters. So soll es auch für unsere Kinder sein. Denn sie sehnen sich nach beidem, nach bedingungsloser elterlicher Liebe und nach Vätern und Mütter, die ihre Stärke dafür einsetzen, dass sie ihren Willen nicht immer haben können.




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