SOLA Spiritualität 'gügslet' auch nach innen, ins Herz. 'Herz' steht für mich für den inneren Kern des Menschen, seine Motivation, seine Gefühle, sein Denken und Wollen. In den Sprüchen lesen wir: 'Mehr als auf alles gib acht auf dein Herz, denn aus ihm strömt das Leben.' (Sprüche 4,23) Und Jesus fügt an: 'Was jedoch aus dem Mund herauskommt, kommt aus dem Herzen ...' (Mt 5,18) Wir sind mehr als Materie, mehr als das, was wir mit dem Mund in den Magen aufnehmen und dann wieder ausscheiden (siehe Mt 5,17). In uns sind dynamische Kräfte am Werk, die uns lenken und antreiben. Intentionen, die uns
gute oder böse Dinge sagen lassen (Mt 5,18b). Wünsche, die uns hoffen lassen. Ängste, die uns depressiv stimmen. Beweggründe, die uns zum Handeln anregen.
Eine SOLA Spiritualität gibt acht auf diese feinen Stimmungen und inneren Regungen des Herzens. Wie setze ich das persönlich um? Ich gehe spazieren, am Besten im Wald. Durch die Regelmässigkeit meiner Schritte auf dem herbstigen Laub fühle ich mich freier zu benennen, was mich innerlich bewegt. Dabei muss ich meistens gar nicht so weit suchen. Es geht nicht um Introspektion an sich, um ein Stochern in meinen Eingeweiden, um dann irgendwo tief aus dem Unterbewussten mein wahres Ich ans Tageslicht zu befördern. Die 'Wahrheit' liegt viel näher an der Oberfläche, viel verankerter in der Gegenwart. Häufig wird sie 'von aussen getriggert'. Was habe ich heute erlebt, das mich ängstlich stimmt? Welche Worte, die dieser Mensch gesagt oder nicht gesagt hat, haben in mir dieses Gefühl des nicht Genügen's ausgelöst? Warum habe ich so wütend auf mein Kind reagiert? Wenn ich spazierend unterwegs bin, bekomme ich so nachsinnend-betend Einblick in meine innere Motivation, Wünsche und Gedanken. Und weil ich das ab und zu tue, kenne ich mich mittlerweile schon etwas besser und gelange deshalb schneller an diesen Punkt der Selbsterkenntnis.
Ich bleibe hier aber nicht stehen (und spaziere betend weiter). Der Theologe Johannes Calvin hat einmal gesagt, dass Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis ganz eng zusammengehören. Man kann sich selber nur dann wirklich erkennen, wenn man auch Gott ins Spiel bringt. Selbsterkenntnis via Gotteserkenntnis also. Es stellt sich im Grunde immer dieselbe Frage: strebt mein Herz nach Gott oder nach etwas anderem? Suche ich nach der Anerkennung meines himmlischen Vaters, oder ist mir Bestätigung von anderen Menschen wichtiger? Trachte ich danach alles unter meiner Kontrolle zu haben, oder lasse ich mein Leben im Vertrauen in Gottes Hände los? Schöpfe ich Leben aus dieser oder jener Beziehung, sättige ich mich mit diesem Buch oder jenem Job, oder sehne ich mich zutiefst nach Gottes Nähe und Leben? Der Unterschied ist manchmal ganz fein, doch geht es immer darum, wem ich meine ultimative Loyalität widme. Da ich mich eben gut kenne, weiss ich, dass ich so (zu) gerne Bestätigung von anderen Menschen einheimse. Mein Herzt sehnt sich danach, dass andere mich für meine Leistung, meine Begabungen, mein Ingeniosität validieren. Dabei vergesse ich meinen Vater im Himmel, der mir bereits sein volles Ja der Annahme zugesprochen hat. In solchen Momenten fühlt es sich so an, als würde Gott in meinem Leben gar nicht vorkommen. Alles hängt von der Bestätigung anderer Menschen ab!
Der zweite Schritt, nachdem ich nach innen geschaut und meine Motivation erkannt habe, besteht nun darin, nach oben zu schauen. Ich bete: 'Vater, vergib mir, dass ich dich in dieser Situation ausgeblendet habe, dass ich mich so in die Abhängigkeit anderer Menschen gegeben habe, dass mir ihr Urteil so viel mehr wert war als deins! Denn dein Ja zu mir hat letztlich unendlich viel mehr Gewicht als das Schulterklopfen oder das Lob irgendeines Menschen. In deinem Ja will ich ruhen. Amen!'
David betet im Psalm 139: 'Erforsche mich, Gott, und erkenne, was in meinem Herzen vor sich geht; prüfe mich und erkenne meine Gedanken!' (Psalm 139,23) Manchmal braucht es auch dieses Gebet. Denn das Streben des Herzens kann komplex und manchmal undurchsichtig und verborgen sein. Aber Gott weiss um alles, was im Herzen des Menschen vorgeht (Röm 8,27). Er sieht direkt hinein (1 Samuel 16,7). Und das ist eigentlich zuerst eine beunruhigende Nachricht. Denn 'das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an' (1 Mose 8,21b). Wie sehr ich das bei mir feststelle, je mehr ich mich real kenne! Da findet sich viel Schlacke, viel Müll, viele Altlasten. Und Gott, der mein Herz besser kennt als ich, sagt: 'Ich, der HERR, erforsche das Herz, prüfe die Nieren, um jedem zu geben nach seinen Wegen, nach der Frucht seiner Taten.' (Jer 17,10) Die gute Nachricht ist, dass Gott mir durch seinen Geist ein neues Herz einpflanzt und es für gut befindet. Dass er mir nicht das gibt, was mir eigentlich zustünde, sondern das, was Christus durch sein perfektes Leben und Handeln, durch seine immer rein gebliebene Motivation und durch sein Sterben für mich erwirkt hat (Heb 4,15; 2 Kor 5,21).
Ist das, was ich hier beschrieben habe eine Art christliche Seelenhygiene oder Übung der Achtsamkeit? Auf eine Art vielleicht ja. In Wirklichkeit ist es aber weit mehr. Es geht nicht primär darum, mich besser zu spüren oder den Draht zu meinem verschütteten Kind in mir wieder zu finden. Es geht um Beziehung mit Gott und um ein aus-dem-Weg-räumen von dem, was mich von dieser Beziehung ablenkt, abbringt und wegzieht. Es ist ein Ablegen von dem, 'was mich beim Laufen hindert.' Ein mich Trennen von der Sünde, 'die mich so leicht gefangen nimmt.' Und es ist ein Schauen auf Jesus, 'den Wegbereiter meines Glaubens, der mir ans Ziel vorausgegangen ist.' (Hebräer 12,1-2)
Treffend beschrieben und schön formuliert. Danke herzlich!
In der Tat, Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis gehören unmittelbar zusammen.
Da Sie Calvinist sind: Ich habe den Calvinismus widerlegt: https://www.academia.edu/44621183/Die_Widerlegung_kirchlicher_Pr%C3%A4destinationslehren