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  • matt studer

Was ist das Evangelium? - Outing eines herkömmlichen Christen, der die Antworten in der Bibel findet

Aktualisiert: 5. Sept. 2022


Wer euch aber ein anderes Evangelium verkündigt, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht, auch wenn wir selbst es wären oder ein Engel vom Himmel.

(Gal 1,8)


Das Evangelium ist komplex. (Timothy Keller)



Die Situation heute: keine Klarheit mehr was das Evangelium betrifft!

Das Evangelium ist unumstritten die zentrale Kernbotschaft des christlichen Glaubens. Nur, was beinhaltet diese Botschaft und sind wir uns darüber klar und einig? Für manche hat das Evangelium vor allem mit Sündenvergebung und dem ewigen Leben zu tun. Jesus vergibt mir meine Schuld, so dass ich eine Beziehung mit ihm haben und später einmal in den Himmel gehen darf. Für andere greift dies entschieden zu kurz. So schreibt Andreas Boppart, Missionsleiter von Campus für Christus im AMEN-Magazin:

Ich glaube, dass wir in den letzten Jahrzehnten wesentliche Teile des Evangeliums von Jesus Christus verloren oder vergessen haben. Es geht darum, neu zu entdecken, wie viel reicher und vielfältiger seine Erlösung ist.

Das Evangelium adressiert nicht nur und vielleicht auch gar nicht primär unsere Existenz nach dem Tod, sondern transformiert unser Leben im Hier und Jetzt. Jesus ist gekommen uns das Leben in Fülle zu bringen, nicht um uns ein Ticket in den Himmel auszustellen und uns im Wartesaal sitzen zu lassen bis es soweit ist (vgl. Joh 10,10). Und nicht nur das:

Tatsächlich hat Christus mit seinem Leben und Sterben eine umfassende Erlösung für nach Leben und Sinn Dürstende gebracht, die nicht nur über eine rein persönliche Dimension hinausgeht, sondern auch soziale und globale Veränderungen bewirken will wie Gerechtigkeit und Gleichstellung von Unterdrückten, Missachteten, Armen und Unfreien. Die Erlösung von Jesus adressiert das ganze Spektrum menschlicher Sehnsüchte. Die Vergebung unserer Schuld gehört unbedingt dazu, sie ist aber nur ein Bestandteil seiner gewaltigen Erlösungstat am Kreuz.

'Umfassend, ganzheitlich, global' sind die Stichworte, die man in der ganzen Diskussion rund ums Evangelium immer wieder vernimmt.


Ganz ähnlich sieht es auch Martin Benz, der das Evangelium 'neu entdecken' will. Benz kritisiert die traditionelle Verengung des Evangeliums auf die 'Sündenproblematik'. Wir brauchen das ganze Leben Jesu, nicht nur das Kreuz. Denn 'das Leben Jesu umfasst mehr als Karfreitag.' Wenn wir die Begegnungen und Gespräche Jesu anschauen, wird doch klar, dass es Jesus gar nicht immer um Schuld und Sühne ging. Jesus holte die Menschen dort ab, wo sie waren. Er befreite sie von ihrer Scham, Angst oder Ohnmacht, indem er sie mit Würde bekleidete und zum wahren Leben befähigte. Er bot ihnen eine (Er)Lösung auf die Probleme, die sie tatsächlich hatten, keine schablonenartige Antwort auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden.


Tim Chester und Michael Reeves dagegen behaupten: 'Die Reformation war im Kern eine Diskussion darüber, wie wir Gott kennen und mit ihm im Reinen sein können. Dabei stand unsere ewige Zukunft auf dem Spiel ... Und das ist immer noch so.' (Aus dem Buch Why the Reformation still Matters, Seite 15) Um was geht es nun wirklich? Welche Aspekte des Evangeliums - wenn es denn verschiedene Aspekte haben soll - sind zentral und für uns heute relevant?


Ich erlebe die Diskussionen um das Evangelium als ein Ringen um die Relevanz dieser Kernbotschaft fürs Heute. Was sagt die Bibel? Wie macht das für uns heute noch Sinn? Wie geben wir diese Botschaft an andere weiter, so dass sie an der Lebensrealität der Menschen andockt? Natürlich könnte ich auch sagen, dass es hier um ein Kräftemessen zwischen 'konservativ' und 'progressiv' geht. Das ist bestimmt manchmal so. Im Grossen und Ganzen aber glaube ich, dass wir mitten in einem Findungsprozess stecken, bei dem es darum geht eine neue (oder vielleicht auch neu-alte) Sprache zu finden, um über das Evangelium denken und reden zu können. [1]

Das gute, alte Evangelium - eine evangelikale Verkürzung?

Zu dieser Botschaft [Evangelium], die ich so an euch weitergegeben habe, wie ich selbst sie empfing, gehören folgende entscheidenden Punkte: Christus ist – in Übereinstimmung mit den Aussagen der Schrift – für unsere Sünden gestorben. (1Kor 15,3)

Nicht nur das. Gott hat ihn drei Tage danach von den Toten auferweckt (Vers 4). Karfreitag und Ostern gehören zusammen. Nur um hier sicher zu gehen, Paulus war nicht allein mit seiner Aussage (siehe z. B. die Predigt des Apostel Petrus in Apg 10,39b-40.43b): 'Dann hat man ihn getötet, indem man ihn ans Kreuz hängte. Doch drei Tage danach hat Gott ihn von den Toten auferweckt ... Durch ihn bekommt jeder die Vergebung seiner Sünden – jeder, der an ihn glaubt.' Ja, der Meister selbst interpretierte seine Passion so: 'Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele zur Vergebung der Sünden vergossen wird.' (Mt 26,28) Die biblischen Definitionen des Evangeliums enthalten also in ihrem Kern die so alt-bekannten Begriffe wie 'Kreuz, Blut, Sünde und Vergebung' (plus die Auferstehung, die in gewissen Kreisen dann manchmal gerne vergessen geht). Es ist schon interessant zu beobachten, dass die Bibel gerade an diesen Schlüsselstellen ein doch recht enges und 'verkürztes' Evangelium zu präsentieren scheint. Und warum? Um das zu verstehen, brauchen wir mehr Hintergrundwissen - wir brauchen eine Story.


Die schlechte Nachricht und die gute Nachricht

Was bedeutet eigentlich das Wort Evangelium rein sprachlich? Ganz einfach, eine gute Nachricht oder Neuigkeit. Das Wort wurde zum Beispiel dann verwendet, wenn der Bote vom Schlachtfeld mit der Nachricht nach Hause kam, dass die eigenen Truppen den Sieg gegen den Feind eingefahren hatten. 'Gute Nachricht! Der Feind zieht wieder ab. Wir sind nicht länger in Gefahr.' Keine neutrale Nachricht, sondern eine Neuigkeit mit existentieller Tragweite, die man nicht für sich behalten konnte, eben weil sie so lebensentscheidende Konsequenzen mit sich brachte.


Wenn dir jemand die gute Nachricht bringt, dass du 'gerettet' wirst, macht dies nur dann Sinn, wenn du dich in einer rettungswürdigen Lage befindest - in einer Gletscherspalte oder unter einem Vulkan, der gerade ausbricht. Wenn du dagegen auf deinem Sofa fläzt (mit einer Tasse Flat-White in der Hand) würde eine so dramatisch 'gute Nachricht' recht schnell verpuffen. Du bist ja schon in Sicherheit, bequem gelagert und koffeiniert. Besser wäre dann die Nachricht, dass das Bier schon kaltgestellt wurde. Anders gesagt, die gute Nachricht macht nur dann Sinn, wenn es zuvor eine schlechte Nachricht gibt.


So verhält es sich auch in der Bibel, nur dass wir es dort zunächst einmal mit Gott als 'uns feindlich gesinnt' zu tun haben. Unser grösstes Problem und die schlechte Nachricht per se sind nicht irgendwelche weltlichen oder sogar unsichtbaren bösen Mächte, die gegen uns streiten, sondern der lebendige Gott, dem wir als sündige Menschen nicht mehr gegenübertreten können. 'Der HERR wird sein Volk richten. Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.' (Hebräer 10,32) [2] Was also ist das Evangelium?

Ich plädiere dafür, dass wir das Evangelium als die gute Nachricht verstehen, dass Jesus uns von unseren Sünden und den Konsequenzen, nämlich dem kommenden Gericht Gottes, in eine erfüllende und ewige Beziehung mit Gott gerettet hat. 

Damit habe ich mich vielleicht gerade disqualifiziert. Ein biblisch-konservatives Outing wird heutzutage nicht so zelebriert wie ein Gender-Outing, dessen bin ich mir bewusst. Und doch sitze ich hier und kann nicht anders, weil mich die Bibel dazu veranlasst.


Nun aber endlich zur Background-Story:


Der Mensch. Von Gott wunderbar geschaffen (Genesis 1,27; Psalm 139). Gott, der Schöpfer des Menschen. Wir gehören eigentlich ihm. Wir sind ihm Dank und Ehre 'schuldig' (Römer 1,21a). Doch wir wollen nichts mit ihm zu schaffen haben (Römer 1,21b). Unsere Beziehung zu ihm ist zerrüttet (Röm 1,23). Die Konsequenzen? Unsere Welt geht in die Brüche. Alles wird brüchig, die Beziehung zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen und zur Schöpfung (Gen 3). Wir leiden und sterben. Wir sind Sklaven der Sünde (Röm 6,15-18). Wir schämen uns. Aber vor allem sind wir schuldig. Im Unreinen mit Gott (Röm 1,20). Verdammt gemäss seinem Gesetz (Röm 3,19). Wir müssen sterben. Das ist unser Lohn (Röm 6,23). STOPP!


Ich weiss, dass wir das heute fast nicht mehr aushalten. Vielleicht wollen wir diese 'alte Wahrheit' eigentlich nicht aufgeben, dafür aber jetzt umso mehr die 'neue Wahrheit' der Ganzheitlichkeit predigen. Wurde mit unserem einseitigen Fokus auf Schuld, Gericht und Verdammnis nicht schon genug Schaden angerichtet? Brauchen wir heute nicht eine 'bessere' Nachricht, die auch die wirklich positiven Aspekte hervorhebt? Oder vielleicht wollen wir diese traditionelle (biblische?) Deutung auch ganz weginterpretieren und neue Wege gehen. Was heisst überhaupt Sünde, Gericht, Verdammnis - und sollte unsere theologische Geschichte an der Stelle nicht dringendst revidiert werden? [3] Ich nehme solche Vorbehalte gerne zur Kenntnis, möchte aber trotzdem noch ein paar Meter tiefer tauchen.


Die schlechte Nachricht: Gott richtet

Gott ist Liebe. Er liebt dich bedingungslos. Er nimmt dich an, so wie du bist. Er ist für dich, immer und überall. Stimmt! Und doch ist dies nur die 'halbe' Wahrheit, die wir in unseren christlichen Milieus ständig angeboten bekommen. Ja, Gott ist unwahrscheinlich gnädig.

Und der HERR ging an ihm vorüber und rief: Der HERR, der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und von grosser Gnade und Treue, der Gnade bewahrt Tausenden, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt ... (2. Mose 34,6-7a)

So einen Gott wollen wir. So ein Gott ist attraktiv. Das Problem dabei? Der Vers geht noch weiter: '... der aber nicht ungestraft lässt, sondern die Schuld der Vorfahren heimsucht an Söhnen und Enkeln, bis zur dritten und vierten Generation.' (Vers 7b) Greg Gilbert meint: 'Damit lösen sich etwa 90 Prozent von dem, was die Leute heutzutage meinen, über Gott zu wissen, in nichts auf.' (Aus dem Buch Was ist das Evangelium, S. 51) Unserem Gott ist Sünde einfach nicht egal. 'Der Herr ist gerecht, er liebt Gerechtigkeit.' (Ps 11,7) Ja, 'Recht und Gerechtigkeit sind [sogar] die Grundfesten seines Throns' (Ps 89,15). Unsere Sünden bringen uns in eine aussichtslose Lage: 'Eure Verschuldungen haben euch von eurem Gott getrennt, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verdeckt, so dass er nicht hört.' (Jesaja 59,2) Es fehlt hier der Platz genauer darauf einzugehen, dass die Bibel mit Sünden nicht einfach ein paar Gesetzesübertretungen (kleinere Verkehrsdelikte oder sogar vereinzelt grössere Böcke), sondern unser ganzes gefallenes Wesen meint. Gemäss Jesus kommt Sünde aus dem tiefsten Herzen, bevor sie in die Tat umgesetzt wird (siehe Mt 15,19). Unser Sündenproblem ist gravierend tief und ganzheitlicher Natur. Auch kann ich jetzt (noch) nicht darauf eingehen, dass unsere Sünde sowohl Schuld- und Scham-Aspekte mit sich bringt (siehe 1. Mose 2,25). Was ich hier unterstreichen will ist, dass der Mensch durch seine Sünde von Gott getrennt und gerichtet ist (und wird), und dass er ohne Gottes Eingreifen verloren ist.


Die gute Nachricht: Gott rettet

Der Tag des Gerichts wird das alles bestätigen, der Tag, an dem Gott durch Jesus Christus auch über die verborgensten Dinge im Leben der Menschen sein Urteil sprechen wird. So lehrt es das Evangelium, das mir anvertraut ist. (Römer 2,16)

Ist es nicht spannend, dass das 'Evangelium, das Paulus anvertraut ist', die schlechte Nachricht quasi als Unterkapitel zur guten Nachricht mit reinpackt? Aber natürlich beinhaltet das Evangelium des Paulus mehr: 'Den, der ohne jede Sünde war, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch die Verbindung mit ihm die Gerechtigkeit bekommen, mit der wir vor Gott bestehen können.' (2. Kor 5,21) Vor dem Gericht Gottes bestehen kann nur der, dem seine Sünden vergeben sind, dessen 'Sünden am Leib Jesu ans Kreuz hinaufgetragen wurden' (nach 1. Petr 2,24). 'Denn alle haben gesündigt ... und dass sie für gerecht erklärt werden, beruht auf seiner [Gottes] Gnade. Es ist sein freies Geschenk aufgrund der Erlösung durch Jesus Christus.' (Röm 3,23-24)


Wenn die schlechte Nachricht lautet, dass du wegen deiner Sündhaftigkeit vor Gott nicht bestehen kannst, dann lautet die gute Nachricht, dass dir deine Sünden vergeben sind und du wieder vor Gott treten kannst. Wenn es wirklich stimmt dass 'das grösste Problem mit dem wir Menschen konfrontiert sind Gottes heilige Gerechtigkeit ist', dann kann die beste Nachricht nur lauten, dass wir nun durch Christus (oder durch den Glauben an ihn, wie Paulus es sagt) gerecht gesprochen und mit ihm versöhnt sind (Römer 5,1).


Versuchen wir kurz (theologisch) zusammenzufassen: Das Evangelium adressiert in erster Linie die persönlich-vertikale Dimension. Der Mensch hat zuerst ein Problem mit Gott, bevor sich alle seine anderen Probleme dazugesellen. Dieses vertikale Problem wurde durch Christus bereits gelöst (erlöst). Darum ist das Evangelium eine gute Nachricht, die zweitausend Jahre alt und doch immer noch aktuell ist. Die (Er)Lösung geschah damals, am Kreuz, als Jesus deine und meine Sünden auf sich lud. Diese Nachricht könnte kaum an Relevanz getoppt werden. Nicht nur für deine Gegenwart (du kannst Gott jetzt wieder begegnen), sondern auch gerade für deine Zukunft (du darfst dann ewig mit Gott leben). Vielleicht liegt unser Problem heute darin, dass wir 'verkürzt' nur über unser diesseitiges Leben, unser Wohlbefinden hier auf Erden nachsinnen und das Evangelium vor allem für dieses Anliegen kapern wollen. Das Paradoxe dabei ist, dass es uns ja meistens schon verhältnismässig gut geht und wir uns (so wohlbehütet auf dem Sofa) die schlechten Nachrichten dieser Welt hineinziehen, dabei aber die schlechteste aller Nachricht, die des kommenden Gerichts, völlig verdrängen.


Q & A: Aber, und wenn, jedoch, müsste man nicht viel mehr ... !

Aber, ist nicht genau dieses klassische Verständnis des Evangeliums zu eng? Und fast noch schlimmer, wie können wir am Schema 'Mensch - Sünder - Erlösung durch Christus - ewiges Leben' festhalten, wenn dies keine S... mehr interessiert?


Zur ersten Frage: Das Evangelium wird biblisch sowohl breit wie auch eng verstanden. Zum Beispiel. Markus 1,1: 'Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.' Robert Godfrey sinniert darüber: 'Dieser Gebrauch des Wortes Evangelium scheint sich auf alles zu beziehen, was Markus uns über die Lehre und das Werk Jesu berichtet.' Also alle seine Worte und Wunder, dies und mehr kommt in die grobe Kategorie 'Evangelium'. Oder nehmen wir mal die prophetische Ankündigung des Messias aus Jesaja 61 Vers 1:

Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen.

Das tönt doch mal positiv, nicht so sündenbelastet. Meistens geht hier jedoch vergessen, dass derselbe Bote ganz nebenbei auch noch 'einen Tag der Rache verkündet' (Vers 2). Und dann, wenn wir diesen Geistgesalbten mit dem leidenden Gottesknecht aus Kapitel 53 in Verbindung bringen, wird eines klar: Diese Segnungen kommen nur auf Kosten seines stellvertretenden Leides: 'Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.' (Jes 53,4)


Man könnte sagen, das eine kommt nicht ohne das andere. Oder, das eine erwirkt das andere. In der Theologensprache spricht man vom Werk Christi pro nobis et extra nos (für uns und ausserhalb von uns). Dieses Werk bildet die definitive Grundlage für sein Werk in uns: wir werden nicht nur gerechtfertigt, wir werden auch neu geboren, durch den Heiligen Geist. Wir entkommen nicht einfach nur dem Zorn Gottes, wir kommen in die Gegenwart des gütigen Gottes. Jesus ist für beides auf diese Welt gekommen: sein Leben für uns hinzugeben (Mk 10,45) und das Leben in Fülle zu bringen (Joh 10,10).


Gehen wir noch einen Schritt weiter. Das Evangelium hat kosmische Konsequenzen. Gott wird diese Welt erneuern, heilen, wiederherstellen. Die gute Nachricht lautet auch: 'Es gibt eine Hoffnung für diese Welt'. Und es stimmt, diesen Teil der Nachricht dürfen wir der Welt und uns selbst ganz unbedingt nicht vorenthalten! Doch auch dieser Aspekt ist im grösseren Zusammenhang zu lesen. Nämlich dass Gott unsere Welt 'von ihrer Last der Vergänglichkeit befreien wird', wenn den 'Kindern Gottes mit der künftigen Herrlichkeit die komplette Freiheit' geschenkt wird (zu der auch der Auferstehungskörper gehört). (Röm 8,21.23). Die Erneuerung der Welt ist kein separates Programm Gottes, sondern an die Erlösung der Kinder Gottes gebunden (siehe Röm 8,1-2).


Das ganzheitliche Evangelium muss zuerst durch ein enges Nadelöhr hindurch, bevor es sich in seiner Wirkungskraft ausdehnen kann. Wenn wir dieses Nadelöhr - das Sterben Jesu am Kreuz für uns Sünder - umgehen, mag unser Evangelium zwar breit werden, es verliert aber seine Ganzheitlichkeit. Denn was nützt es uns, wenn wir ein besser Leben und sogar einen gesünderen Planeten haben, dabei aber nicht mit Gott versöhnt sind? Ich kann es nur noch einmal mit Greg Gilbert wiederholen:

All diese grossen Verheißungen hängen von der guten Nachricht ab und entspringen ihr. [Sie gelten aber] nur solchen, denen die Sünde durch ihren Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus vergeben ist. (Seite 35-36)

Diese Welt braucht kein neues Evangelium

Eigentlich gebe ich Andreas Boppart recht: 'Wir brauchen kein neues Evangelium, aber wieder ein ganzheitliches.' Reden wir unbedingt davon, was Gott durch das Evangelium alles bewirkt und bewirken will. Aber verlassen wir dabei nicht das tragende Fundament, auf dem Gott seine Verheissungen aufbaut: 'Durch ihn, der sein Blut für uns vergossen hat, sind wir erlöst; durch ihn sind uns unsere Verfehlungen vergeben.' (Eph 1,7) Und dass Gott uns nur darum seinen Heiligen Geist gibt und sich so 'für die vollständige Erlösung' seiner Kinder (und seiner Schöpfung) verbürgt. (Vers 14)


Diesen Artikel verdanke ich zum Teil dem Buch von Greg Gilbert 'Was ist das Evangelium?'.


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[1] Boppart und Benz wollen den Aspekt der Sündenvergebung (die Schuldproblematik) ja nicht aufgeben (wenn ich sie richtig verstanden habe). Sie wollen das Evangelium nur nicht auf diesen Aspekt 'verkürzen'. Ob ihr Projekt der Ganzheitlichkeit kohärent gelingt, ist eine andere Frage, die ich in diesem Artikel nur ansatzweise beantworten kann.


[2] Natürlich beinhaltet das Evangelium die gute Nachricht, dass Jesus über Satan, die Schlange gesiegt hat (vgl. Gen 3,15). Dieser Erzählstrang, historisch als Christus Victor bezeichnet, hängt meines Erachtens aber zutiefst mit der 'eigentlich' guten Nachricht, dass wir wieder mit Gott versöhnt sind, zusammen. Dazu bald mehr an anderer Stelle.


[3] Ich plane in Zukunft auf diese 'Problemzonen' des 'alten' Evangeliums in würdiger Tiefe einzugehen.



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