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  • matt studer

Post-evangelikal #2 - Aktivismus ja: aber wie und wo?

Aktualisiert: 11. Feb. 2022



Manchmal ist eine Generation dazu berufen, Grosses zu vollbringen. Ihr könnt diese Generation sein.

(Nelson Mandela)


Die erste Ecke des 'Bebbington Vierecks' zur Beschreibung des Evangelikalen hiess: Es braucht eine Bekehrung zu Jesus Christus (siehe diesen Beitrag). Als zweite Ecke definierte Bebbington die 'missionarische Aktivität' der Evangelikalen. Sie predigen das Evangelium und engagieren sich in allerlei diakonischen Unternehmungen. Diesem Punkt will ich mich nun hier konstruktiv widmen, als Teil der Serie 'evangelikal oder post-evangelikal?'.


Eine geschichtliche Detour

Historisch gehörten die Evangeliumsverkündigung und das Engagement für sozial bessere Bedingungen (Kampf gegen Armut, Unterdrückung und Benachteiligung) in der evangelikalen Bewegung stets zusammen. Es wurde munter gepredigt, denn die verlorenen Menschen sollten sich ja bekehren. Es wurde resolut geholfen, wo immer es nur ging. Denn das Evangelium verpflichtete zur Nächstenliebe. Und Nächstenliebe manifestierte sich immer am Dienst an den Armen, Benachteiligten und Unterdrückten. Zwei Beispiele dazu. Lord Shaftesbury war englischer Politiker und Evangelikaler dazu. Unermüdlich und leidenschaftlich setzte er sich auf politischem Weg für eine Besserung der gesellschaftlichen Umstände ein. Ein berührendes Beispiel ist sein Kampf gegen die Ausbeutung von Kindern zum Einsatz bei Kaminreinigungen. Die Schornsteine waren damals so eng gebaut, dass nur ein kleineres Kind sich durchquetschen konnte. Man hatte also keine bessere Idee, als die Kleinen mit einem Wischwedel durch diese Kamine klettern zu lassen. Shaftesbury kämpfte über lange Zeit und schliesslich erfolgreich für die Abschaffung dieser horrenden Praxis. Für ihn war sein Einsatz ganz natürlich an den evangelikalen Glauben geknüpft: [1]

Vor allem anderen bin ich ein Evangelikaler und gehöre zu dieser Bewegung. Ich habe ständig mit ihnen zusammengearbeitet, und es befriedigt mich sehr, dass die meisten philanthropischen Bewegungen des Jahrhunderts von ihnen ausgegangen sind.

Das zweite Beispiel in aller Kürze, die Heilsarmee. Die Soldaten der Heilsarmee machten eines. Sie gingen auf die Strasse, um Menschen aus ihrem Sumpf zu helfen. Ihr Slogan: Suppe, Seife, Seelenheil. Also, was der Mensch braucht ist Jesus (eine Bekehrung oder Seelenheil) UND eine Besserung seiner Lebensumstände (Suppe und Seife). Was mir (als Musiker) an der Heilsarmee überdies noch gefällt: Sie gingen häufig musizierend auf die Strasse. Dazu entliehen sie die populären Songs der damaligen Zeit uns spielten sie mit ihren Marching Bands. Mich würde interessieren, wie die Heilsarmee Bands heute Ed Sheeran oder Rihanna umsetzen würden (zu viele Offbeats?).


Später wurde dann manchmal ein Keil zwischen Evangelisation oder Mission und sozialem Einsatz getrieben. Wieso? Das ist eine kompliziertere Geschichte, die wir hier nicht annähernd erschöpfen können. Da war beispielsweise das 'Problem' der kolonialen Überseemission und die Frage, ob man den Leuten das Evangelium einfach so 'kultur-neutral' überbringen könne. Natürlich konnte man das nicht. Im Gegenteil brachte man häufig die ganze westliche Kultur im Gepäck mit, mal bewusster und mal unbewusster. Fairerweise muss gesagt werden, dass ein grober Kulturimperialismus von kirchlich-missionarischer Seite selten praktiziert wurde. Schon früh kam auch der Impuls auf, dem 'Griechen ein Grieche zu werden', anstatt umgekehrt (denken wir an Hudson Taylor und William Carey, zwei der wichtigsten Vertreter der evangelikal-kolonialen Mission). Trotzdem wurde manchmal, gepaart mit einem triumphalistischen Gefühl nun die ganze Welt endlich für Jesus zu gewinnen, etwas übermütig missioniert (sagen wir, mit kolonialistischen Nebenwirkungen: wir bringen nicht nur die gute Nachricht, sondern auch grad unsere wohlbewährten westlichen Werte mit). Nach den Weltkriegen, die nota bene beide von sogenannt westlich-christlichen Ländern initiiert wurden, klang dieser Triumphalismus recht bald ab und man begann kritischer über die eigene Haltung zu reflektieren. Man tat dies auf den ökumenischen Weltmissionskonferenzen, durch den Rat der Kirchen organisiert. Das Endresultat? Sehr vereinfacht gesagt, dass man das Missionieren besser ganz lassen und sich vermehrt auf diakonische Aktivitäten und die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit fokussieren sollte. Mit diesem Beschluss konnten viele Evangelikale logischerweise nicht mitgehen, obwohl auch sie gewisse Elemente der traditionellen Mission kritisch sahen. Auf der anderen Seite des Atlantiks standen die Evangelikalen dem 'Social Gospel' gegenüber, das auf ein ähnliche Art und Weise primär sozialen Aktivismus forderte. Die evangelikale Bewegung grenzte sich davon ab, leider manchmal auf Kosten ihres historisch verankerten diakonischen Auftrags, den man den 'Liberalen' überliess. Mit dem Lausanner Kongress 1974 fand man dann inner-evangelikal wieder zu einer grösseren Ausgewogenheit zurück:

Wenn Menschen Christus annehmen, kommen sie durch Wiedergeburt in Sein Reich. Sie müssen versuchen, Seine Gerechtigkeit nicht nur darzustellen, sondern sie inmitten einer ungerechten Welt auch auszubreiten. Das Heil, das wir für uns beanspruchen, soll uns in unserer gesamten persönlichen und sozialen Verantwortung verändern. Glaube ohne Werke ist tot. (Statement 5 der Lausanner Verpflichtung)

Wieso diese historische Detour? Weil wir hier sehen können, dass das, was von Anfang zusammen gehörte - Evangelisation (die Dringlichkeit der Bekehrung) und diakonischer Auftrag (die logische Konsequenz der Bekehrung) - im Laufe der Zeit immer wieder mal auseinanderdividiert wurde.


Back to the Future

Wie schaut die Situation heute aus? Müssen wir die Evangelikalen vor allem dem Bereich 'Evangelisation, Mission und Gemeindegründung' zuordnen und die Post-Evangelikalen dem Bereich 'Diakonie und Transformation der Gesellschaft oder Einsatz für eine bessere Welt'? Die Realität ist differenzierter.


Einerseits: Es ist ja nicht so, dass Freikirchen sich nicht auch sozial-diakonisch betätigen. Klar mag der Hauptfokus auf Evangelisation, Gemeindegründung oder Gemeindebau 'nach innen' liegen (Gottesdienst, Kleingruppen, Seelsorge, usw.). Doch kenne ich kaum eine Freikirche, die nicht auch etwas Gutes für die Stadt tut. Evangelikale sind also nach wie vor diakonisch aktiv, ihrer DNA getreu. Wo liegt dann das Problem? Liegt es vielleicht daran, dass bei den Evangelikalen der Missionsgedanke immer irgendwie mitspielt (wir helfen euch mit dem Ziel, dass ihr euch bekehrt!), zumindest in der Theorie? In der Praxis müsste man untersuchen, ob bei sozialen Aktivitäten tatsächlich bewusst evangelisiert wird. Würde mich überraschen wenn. Sind auch das Auswirkungen des Keils?


Andererseits: Unsere Kultur wird in den letzten Jahren oder Jahrzehnten von bestimmten politisch-aktivistischen Bewegung gepusht, die bestimmte Themen an die Tagesordnung rücken. Die Klimabewegung, wenn auch aktuell durch die Pandemie etwas geschwächt, rief die bevorstehenden klimatischen Veränderungen ins gesellschaftliche Bewusstsein. Und verschiedene Vertreter und Bewegungen rund um das Thema 'Social Justice' (im Kontext von Genderfragen, Rassismus, u. a.) pushen ihre Agenda via Politik, Medien oder über die Bildungsinstitutionen und prägen dabei vor allem die jüngeren Generationen. Der generelle Trend geht ins Grüne. 'Ökologie, Fairtrade oder Nachhaltigkeit' sind quasi gesellschaftliche Badges geworden, die man sich gern an die Weste heftet, wenn sie weiss sein soll. Die Welt macht sich Gedanken zu diesen Fragen. Welche Rolle spielt die Kirche Jesu dabei? Und machen wir uns nichts vor. Der 'Welt' geht es dabei nicht so sehr um Jesus und sein Reich.


Forward into a new future (?)

Stellen wir uns der Situation. Evangelikale könnten unter der Tendenz leiden, die oben genannten gesellschaftlichen Entwicklungen zu verschlafen und sich vor allem mit ihren hauseigenen Problem zu beschäftigen. Wo bleibt denn da bitte die Relevanz?


Post-Evangelikale dagegen könnten eventuell zu relevant werden. Muss die Kirche auf jeden gesellschaftlichen Zug aufspringen? Bleibt sie dabei noch sich selbst, wenn sie alles aus ihrer Umgebung absorbiert? Wo bleibt denn da bitte die prophetische Spitze?


Der ganzen Diskussion liegen einen Haufen theologischer Spannungen zu Grunde (was mich als Theologen natürlich freut! Andere freut es vielleicht weniger). Die erste dieser Spannungen will ich als die 'vertikal-horizontale' Spannung bezeichnen: Wie kommt das Reich Gottes in diese Welt, vertikal oder horizontal? Man könnte auch fragen: Wo wirkt der Geist Gottes? Wirkt der Geist Gottes bereits in dieser Welt (in Bewegungen zur Rettung des Regenwaldes oder Initiativen zur Verbesserung sozialer Mißstände), bevor die Kirche da ist? Und jetzt muss die Kirche einfach dort aufspringen, wo dies der Fall ist? In Reinform war dies ja die Prämisse des ökumenischen Kirchenrates sowie des 'Social Gospel': Gott ist bereits am Werk in der Weltgeschichte. Wir müssen nur unterscheiden wo und dann mitmachen. Die Befreiungstheologie bietet ein interessantes Beispiel. Der Geist Gottes wirke bereits in den Aufbrüchen (Aufständen) der unterdrückten Bauern, die sich für eine Befreiung von der oligarchen Unterdrückung mobilisierten. Alles, was die Kirche zu tun hatte war, diesen Befreiungskampf zu unterstützen (und ihm ein christliches Gesicht zu geben). Wird Reich Gottes hier verweltlicht ('verhorizontalisiert') und mit Entwicklungen der Weltgeschichte verwechselt? Darf man überhaupt so unterscheiden? Auf jeden Fall zeigt uns die Geschichte, dass 'vertikale Aspekte' wie Bekehrung und Evangelisation dabei so stark verblassen können, dass sie wie ein Möbel aus alter Zeit nur noch irgendwo im Hintergrund stehen.


Inwiefern sind Klimastreiks, Bürgerrechtsbewegungen und Social Justice Kampagnen geistgewirkt? Evangelikale neigen zu einer grösseren Vorsicht in dieser Frage. Für sie entwickelt sich das Reich Gottes weniger als innerweltlicher Prozess. Eher bricht es 'vertikal' in diese Welt herein. Und meistens zuerst in der Kirche. Denn dort sind ja die Menschen, die dem König nachfolgen. Ergo wieder die 'Priorisierung' von Evangelisation. Wenn die Menschen nicht zum König kommen (sich bekehren), kann sich sein Reich auch nicht in der Welt entfalten.


Kommen wir zur Frage nach der Relevanz. Wie relevant sollte Kirche sein und was heisst das überhaupt? Diese Frage ist natürlich mit dem obigen Punkt verlinkt. Sollte die Kirche bei der Welt mitmachen, oder muss die Welt 'in die Kirche' kommen, um es zu checken?


Historisch gesehen stehen wir hier vor dem Problem, dass so viel Gutes, was die Kirche früher für das Wohl der Gesellschaft geleistet hat, heute von säkularen Initiativen und Institutionen übernommen wird. Vorbei sind die Zeiten, als die kirchliche Gemeinschaft mit ihren Treffen am Sonntag und unter der Woche für viele und vor allem für die Frauen eine wichtige und attraktive Sache war. Bedenken wir, dass Frauen sich damals lange nicht so frei in der Gesellschaft bewegen konnten wie die Männer. In den evangelikalen Kirchen aber konnten sie dies und sie durften 'sogar' Aufgaben übernehmen und mitgestalten! Da sich der Freiraum und die Möglichkeiten für Frauen über die letzten Jahrzehnte in unserer Gesellschaft massiv erweitert hat (sogar im Appenzell!), bietet die Kirche hier kaum noch eine attraktive Alternative. Vorbei sind zum Beispiel auch die Zeiten, in denen die Gründung von Spitälern, Schulen, Tagesstätten und Waisenhäuser fast ausschliesslich ein kirchliches Monopol war. Worauf will ich eigentlich hinaus? All diese Dinge waren damals höchst relevant und es war die Kirche, die diese Dinge tat. Wenn eine Kirche heute eine Tagesstätte oder ein Kaffee aufmacht, ist das zwar schön, aber, was den Impact auf die Umgebung anbelangt, kaum vergleichbar relevant. Das heisst nicht unbedingt, dass wir diese Dinge nicht mehr tun sollten. Trotzdem, die Frage nach der Relevanz bleibt. [2]


Heute gibt es NGO's, Gewerkschaften, den Wohlfahrtsstaat und unzählige Parachurch-Organisationen, die sich für eine gerechtere Gesellschaft und bessere Welt einsetzen. Wieviel vom Kuchen bleibt für die Lokalkirche noch übrig? Vielleicht sollte sich die ortsansässige Kirche wieder mehr auf ihren diakonischen Grundauftrag fokussieren: den Armen, Unterdrückten und Waisen und Witwen in ihrer Mitte und ihrer vielleicht näheren Umgebung zu helfen (Jak 1,27; 2,1-26). Wenn die Kirche aus radikaler Nächstenliebe handelt, wird sie immer einen transformierenden Unterschied machen.


Ein letzter Gedanke zum Thema relevant sein. Müsste die Kirche, damit sie relevanter wäre, nicht auch einen Ticken prophetischer und damit anders als die Welt sein? Müsste sie nicht auch Problemzonen ansprechen, die politisch zwar nicht korrekt, 'von Gott her gesehen' aber wichtig sind? Müsste sie nicht zudem einen radikal-alternativen aber attraktiven Lebensstil kultivieren, der zwangsläufig in die Umgebung ausstrahlen würde?


Damit kommen wir mehr oder weniger fliessend zum letzten Punkt, der Frage nach dem Wesen der Kirche. Was macht die Kirche eigentlich zur Kirche? Was kann die Kirche der Welt geben, das nur sie zu geben vermag? Wir berühren damit eine theologische Frage, nämlich die Diskussion zu den notae ecclesiae, den Kennzeichen der Kirche. Für die Reformatoren waren dies die Predigt des Evangeliums und die Sakramente (im evangelischen Sinn distribuiert). Ohne mich zu fest in diese Brutstätte der Kontroversen zu begeben (auch für mich greift diese Beschreibung der Kirche eigentlich zu kurz!), möchte ich nur diesen Aspekt zu bedenken geben: Es muss doch irgendwie auffallen, dass diese beiden Kennzeichen einen ausschliesslich vertikalen, fast 'überweltlichen' Charakter aufweisen. Wieso sollte sich die Welt für das Evangelium und für Brot und Wein interessieren? Die beiden Dinge könnten kaum irrelevanter sein, so scheint es. Und doch. Geht es hier nicht um eine existenziell viel tiefere Bedeutsamkeit, darum, dass Gott gerade durch diese Mittel dem Menschen begegnet und ihn zu sich ruft? Ich glaube, dass wir es hier mit dem ganz Eigentümlichen zu tun haben, das nur die Kirche der Welt zu geben hat, weil sie selbst es 'von oben' empfängt. Keine andere Institution, keine Bewegung und keine andere Gemeinschaft ist dazu befähigt. Doch die Kirche ist das von Gott eingesetzte geistliche Gefäss, diesen Wein 'von oben' zu fassen und auszuteilen. Also müssen wir uns fragen: tut sie es? Wenn die Kirche nur noch den Regenwald, die Wale und das Klima rettet, ist sie nicht länger 'vertikal' in dem Sinne und darum auch nicht länger Kirche. Schliessen wir diesen Punkt mit einem Zitat von Mark Noll, das diese evangelikale Priorität (aus einer anthropologischen Perspektive) zusammenfasst. [3]

Changing the world was never as important for the early evangelicals as changing the self, or fashioning spiritual communities in which changed selves could grow in grace.

Abschliessende Gedanken

Diese Diskussion ist schon zu lang geraten. Worum es letztlich geht, sind die Prioriäten. Nicht, ob wir diakonisch aktiv sein sollen, sondern wie, wo und in welchem Mass. Und natürlich, ob neben diakonisch auch evangelistisch in unserem Vokabular und unserer Praxis vorkommt. Gut, vielleicht müssen wir unsere Methoden in Bezug auf Mission und Evangelisation überdenken (wenn ich's mir überlege, ja, ganz bestimmt müssten wir das). Aber wir dürfen Mission und Evangelisation nicht so einfach von der Liste streichen. Das wäre, als würden wir der guten Botschaft, dem Evangelium, die Stimme rauben. Übrig bleiben würde ein wackeliges Skelett von guten Taten, die irgendwie verschwommen mit dem christlichen Glauben zu tun haben. Aber gute Taten vollbringen auch andere!


Geht evangelikal und post-evangelikal zusammen? Nur wenn wir keinen Keil zwischen Mission und Diakonie, zwischen der Verkündigung des Evangeliums und guten Taten der Gerechtigkeit treiben. Nur wenn das eine essentiell mit dem anderen verwoben ist. Und auch dann nur, wenn wir nicht primär nach weltlicher Relevanz streben, sondern uns um eine biblisch fundierte Ausgewogenheit in dieser Angelegenheit bemühen (ich meine, was wir konkret wie und wann priorisieren sollen). Denn ich bin überzeugt: es ist nicht unsere Aufgabe, diese Welt zu retten. Vielmehr sind wir dazu berufen, unsere Nächsten leidenschaftlich zu lieben, ganz egal wie flächendeckend die Auswirkungen sein mögen. Und natürliche es ist unsere Aufgabe, in allem was wir tun auf den zu verweisen, der diese Welt eines Tages komplett retten wird!



Und was ist mit passiver Spiritualität?

Dieser Artikel handelte vom evangelikalen Aktivismus, der tief in unseren Knochen drin streckt. Besteht dabei die Gefahr auszubrennen? Oder, sind wir wie Martha ständig am herumrennen und verpassen dabei (nicht wie Maria) das Wesentliche? Das Ringen des William Wilberforce um seine Berufung steht paradigmatisch für diese Frage. Zunächst mit dem Gedanken spielend, sich ganz in ein kontemplatives Leben zu stürzen, empfahl ihm John Newton, er solle in die Politik gehen, da dort sein richtiger Platz sei. Wir wissen, für was Wilberforce sich letztlich entschied und was für weitreichende Konsequenzen sein Entscheid hatte. Also doch aktiv anstatt kontemplativ? Es könnte schon sein, dass der evangelikalen Spiritualität mit all ihrem Tatendrang das ruhige, passiv erwartende Element abhanden gekommen ist. Dies war historisch gesehen noch anders. Obwohl Wesley über sein Leben geschätzt 40'000 Predigten hielt, empfahl er gleichzeitig, dass ein Christ sich pro Tag (mindestens) zwei Stunden dem Bibel Lesen, Meditieren und dem Gebet widmen sollte (was wahrscheinlich impliziert, dass er selbst, als gutes Vorbild, mehr als zwei Stunden pro Tag investierte). Wir könnten zig Beispiele ergänzen. Vielleicht ist das Spezielle an einer evangelikalen Spiritualität, dass 'aktiv' und 'kontemplativ' so verbunden werden, dass die Taten (natürlich nur im Idealfall) aus der Gemeinschaft mit Gott, durch sein Wort initiiert, fast automatisch fliessen. Wie dem auch sei, ich meine, dass uns diese kontemplative Leidenschaft heute fehlt. Wer weiss, vielleicht wären wir sogar noch 'erfolgreich' aktiver, wenn wir sie wieder zurückgewinnen würden.



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[1] Quelle Wikipedia. Für ein lesenswerte Biografie über Shaftesbury empfehle ich 'Richard Thurnbull - Shaftesbury: The Great Reformer' (nicht zuletzt weil Richard mein Prof. für evangelikale Kirchengeschichte ist).


[2] Im Zusammenhang mit dem Thema 'relevant sein' müssten eigentlich auch die ganzen sexualethischen Themen besprochen werden. Ich meine, hier oftmals den Ruf nach Relevanz, gekoppelt mit dem Überwinden 'traditionell-konservativer' (nicht länger relevanten?) Modelle herauszuhören. Aber da ich mich in dieser Serie auf die vier Punkte von Bebbington limitiere, darf ich diesen Themenkomplex an anderer Stelle aufgreifen.


[3] Siehe Mark Noll, The Rise of Evangelicalism, Seite 249.

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