Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. (2. Mose 20,16)
Die Diskussion um die Frage, ob christliche (evangelikale) Gemeinden LGTBQ*s in ihrer Mitte willkommen und 'gutheissen' sollen, ist in vollem Gang. Natürlich nicht erst seit gestern. Neues Öl aufs Feuer gegossen hat die eben stattgefundene Tagung 'Comin In', im Zusammenhang mit dem Besuch des amerikanischen, post-evangelikalen Ethikers David Gushee. Der sozial-mediale Rattenschwanz, der dabei ausgelöst wurde, reicht mittlerweile fast schon bis in die Stratosphäre.
Ich bin nicht so der Sozial-Mediale. Viel lieber schreibe ich Blogs und leiste so meinen Beitrag zur Diskussion. Wenn wir uns die gegenwärtige Diskussion anschauen, drängen sich mir zwei Fragen auf. Erstens, lohnt es sich, diese Debatte überhaupt noch zu führen, oder ist der Zug sowieso schon abgefahren? Zweitens und für diesen Beitrag wichtiger, wie können wir als Christen eine solche Debatte 'christlich' führen?
Lohnt sich die Diskussion noch, oder können wir wieder zurück zum Serien gucken?
David Gushee schrieb schon im Jahre 2017 (genau, die Amerikaner sind uns mindestens immer zwei Schritte voraus) diesen bezeichnenden Satz:
Ich glaube auch, dass der Versuch den Dialog aufrecht zu erhalten, letztlich fruchtlos bleiben wird. Die Unterschiede sind einfach zu unüberbrückbar. Sie werden täglich in den sozialen Medien re-artikuliert. (meine Übersetzung)
Um seiner Intention gerecht zu werden, müssen wir anfügen: Es ging Gushee hier um mehr als um die sexualethischen Fragen. Nämlich:
Ich glaube heute, dass es unvereinbare Unterschiede in unserem Verständnis des Evangeliums von Jesus Christus, der Interpretation der Bibel und den Quellen und Methoden der moralischen Unterscheidung gibt, die manche von uns von unseren früheren Geschwistern im Glauben trennen - und dass es das Beste ist, diese Unterschiede klar und ohne Bitterkeit zu benennen, auf dem Weg zur Tür hinaus. (meine Übersetzung)
Das sind starke Worte, die ich an anderer Stelle genauer bearbeiten möchte. Was man Gushee zugute halten muss, ist seine ehrliche Bereitschaft, nicht um den heissen Brei herumzureden und vorneweg klarzustellen, worum es ihm geht. Konservative Stimmen stimmen ihm diesbezüglich ganz zu: Wir haben scheinbar unüberwindbare Differenzen und müssen dies ehrlicherweise zugeben, anstatt falsche Hoffnungen zu erwecken.
Meine Meinung dazu ist noch nicht fertig. Lohnt es sich noch zu reden, oder kommen wir an einen Punkt des Eingeständnisses, dass ein Miteinander nicht länger möglich ist? Wie siehst du die Sache? (Ich sehe, dass es hier tatsächlich 'unüberwindbare Gräben' gibt und ein Miteinander darum schwierig wird; mehr dazu hier und später an geeigneter Stelle). So oder so, die Diskussion findet bei uns gerade statt. Und es gibt Stimmen wie diejenige von Markus Till, die hoffen, dass es 'ein respektvolles Nebeneinander und vielleicht sogar zumindest punktuell ein Miteinander geben kann'.
Egal ob ein Miteinander oder Nebeneinander, das zentrale Gebot der Stunde scheint mir zu sein, dass wir (und das betrifft zuerst mich) glaubhaft demonstrieren, wie eine Auseinandersetzung dieser Art in 'christlicher' Manier geht. Anleitung dazu finden wir an einer vielleicht nicht unbedingt erwarteten Stelle: dem neunten der zehn Gebote.
Das neunte Gebot: Sag nichts Unwahres über deinen Mitmenschen!
Jesus lehrte uns die Essenz des christlichen Lebens, die Essenz der zehn Gebote: 'Liebe Gott und deine Mitmenschen' (Mt 22,37-39). Dazu gehört nun mal, wie wir über andere Menschen reden. Und davon handelt das neunte Gebot (manchmal das Achte, je nach Aufteilung). Dieses Gebot bezieht sich zunächst darauf, wie man vor Gericht aussagen soll (respektive wie man's nicht machen soll!). Es würde dann wörtlich etwa so heissen: 'Sag nicht als falscher Zeuge gegen deinen Mitmenschen aus!' Oder wie's der Psalmist will (Ps 56,6): 'Ständig verdrehen sie meine Worte; alles, was sie planen, soll mir schaden.' Luther legte dieses Gebot in seinem kleinen Katechismus so aus:
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.
Der grosse Westminster Katechismus geht noch 'etwas' mehr ins Detail. Man muss kein Fan der Puritaner sein (ich gebe zu, dass ich einer bin), um sich hier herausfordern zu lassen. Ich zitiere die Antwort auf die Frage 145 'Welches sind die Sünden, die im neunten Gebot verboten werden?'
Antwort: Die Sünden, die im neunten Gebot verboten werden, sind: alle Beeinträchtigung der Wahrheit und des guten Namens unseres Nächsten wie auch unseres eigenen, besonders im öffentlichen Gerichtsverfahren, nämlich dass wir falsches Zeugnis geben, falsche Zeugen anstiften, wissentlich für eine unrechte Sache vor Gericht auftreten und sprechen, der Wahrheit Trotz bieten und sie unterdrücken, ein ungerechtes Urteil fällen, das Böse gut und das Gute böse nennen, den Gottlosen nach den Werken der Gerechten und den Gerechten nach den Werken der Gottlosen vergelten, Urkunden fälschen, die Wahrheit verheimlichen, in einer gerechten Sache ungebührlich schweigen, und uns ruhig verhalten, wenn die Ungerechtigkeit entweder eine Missbilligung von uns oder eine Beschwerde anderen gegenüber fordert, die Wahrheit zur Unzeit oder böswillig in unrechter Absicht sagen oder sie zu einer unrechten Auslegung oder in zweifelhafte und zweideutige Ausdrücke zum Schaden der Wahrheit oder Gerechtigkeit verkehren, die Unwahrheit sagen, lügen, üble Nachrede führen, verleumden, herabsetzen, klatschen, Ohren-Bläserei treiben, spotten, schmähen, rasch, schroff und parteiisch aburteilen, Absichten, Worte und Handlungen missdeuten, schmeicheln, eitel und ruhmredig prahlen, zu hoch oder zu gering von uns selbst oder andern denken oder reden, die Gaben und Gnaden Gottes verleugnen, kleinere Fehltritte übertreiben, Sünden verbergen, entschuldigen oder verkleinern, wenn wir zu freiem Bekenntnis aufgefordert sind, Schwächen unnötigerweise herausstellen, falsche Gerüchte aufbringen, böse Nachrede aufgreifen und begünstigen und unsere Ohren gegen gerechte Verteidigung verschliessen, bösen Verdacht hegen, jemanden um seinen wohlverdienten guten Ruf beneiden oder darüber Verdruss empfinden und uns bemühen oder wünschen, ihn zu schmälern, uns über Schmach und Schande der andern [sic!] freuen, sie verächtlich gering schätzen, töricht bewundern, rechtmässige Versprechungen brechen, solche Dinge, die zum guten Ruf gehören, vernachlässigen und solche Dinge, die einen bösen Namen machen, entweder selbst tun und nicht vermeiden oder nicht, so gut wir können, bei andern verhindern.
Vielleicht wäre dies ja mal ein Satz zum auswendig lernen, um ihn dann dem Samichlaus vorzutragen? Wir müssen aber nicht einmal so 'ganzheitlich' sein um zu merken, was nächstenliebende-Kommunikation in Schrift und Ton alles beinhalten könnte. Ich muss mich hier unbedingt selber bei der Nase nehmen. Wann habe ich nicht schon mal 'die Wahrheit zur Unzeit oder böswillig oder in unrechter Absicht' gesagt? Oder 'jemanden um seinen wohlverdienten guten Ruf' beneidet und darum abschätzig, herablassend und negativ über ihn geredet? Oder jemanden 'so ausgelegt oder seine Worte verdreht, dass sie meine Sache unterstützten'? Wenn wir uns in der aktuellen 'polemischen' Diskussion beteiligen, sollten wir nicht primär die 'Schwächen anderer herausstellen', sondern diese 'Schwächen bedauern und bedecken' oder wenn dann in 'wohlwollender Wertschätzung' und 'um des guten Namens unseres Nächsten' willens 'kritisieren' (hier beziehe ich mich auf Punkt 144 des Katechismus). Ebenso müssen wir gewaltig davor aufpassen, falsche Gerüchte aufzubringen, falsche Intentionen zu unterstellen (zu viel zu spekulieren) und Strohmann-Argumente aufzubauen, nur um unsere Argumentation aufzubauschen. Und ja, in hitziger Diskussion ist man so leicht dabei (vielleicht persönlich betroffen und sogar verletzt) 'üble Nachrede zu führen, andere herabzusetzen, oder zu schroff und parteiisch zu urteilen.'
Wie geht es dir dabei, wenn du diese Aufzählung nachliest? Wo ist dein Temperament angesprochen und herausgefordert? Ich denke, dass wir alle in unseren persönlichen Knackpunktthemen wachsen dürfen. Das positive Endresultat sähe dann etwa so aus:
Die Pflichten, die im neunten Gebot gefordert werden, sind: die Erhaltung und Förderung der Wahrhaftigkeit zwischen Mensch und Mensch und des guten Namens unseres Nächsten wie unseres eigenen, das öffentliche Auftreten und Einstehen für die Wahrheit und das Reden der Wahrheit von Herzen, aufrichtig, frei, klar und vollständig, und zwar nur der Wahrheit, in Sachen von Recht und Gericht und in allen anderen Dingen, welche es immer seien, wohlwollende Wertschätzung unserer Nächsten, Liebe, Lust und Freude an ihrem guten Namen, Bedauern und Bedecken ihrer Schwachheiten, freie Anerkennung ihrer Gaben und Gnaden, Verteidigung ihrer Unschuld, bereitwillige Entgegennahme eines guten Gerüchts und unwillige Zurückweisung eines bösen Gerüchts über sie, Entkräftung von Angebern, Schmeichlern und Verleumdern, Liebe und Sorge für unsern eigenen guten Namen und, wenn nötig, seine Verteidigung, das Halten von rechtmässigen Versprechen, Erstreben und Betätigung alles dessen, was wahrhaftig, ehrbar, lieblich ist und was wohl lautet.
Dies die Antwort des Katechismus auf die Frage 'Welches sind die Pflichten, die im neunten Gebot gefordert werden?' (Frage 144) Sind wir dabei, die Stärken und Gaben des anderen herauszustellen? Weisen wir 'böse Gerüchte über andere' entschieden zurück, anstatt uns an den Zug der üblen Nachrede heranzuhängen, um für unsere Sache zu gewinnen? Haben wir 'Liebe, Lust und Freude an ihrem Namen?' Ja, es gibt auch den Moment für 'unseren eigenen Namen Sorge zu tragen'. Doch nur in einer demütigen, kritikfähigen und lernenden Haltung.
Logisch, niemand steht stoisch-emotionslos über der gegenwärtigen Diskussion. Keiner ist sündlos-perfekt involviert. Deshalb dürfen wir immer wieder zu Jesus kommen, dort wo er Sünde in unserer Kommunikation aufdeckt. Der Westminster Katechismus könnte uns dank seiner Ausführlichkeit erschlagen. Sein Ziel war aber, Christen in ihrer Nachfolge zu ermutigen und anzuleiten. Gerade in einer Zeit, in der viele dieser Debatten auf Online-Plattformen und sozialen Netzwerken stattfinden, wo man sich nicht einmal in die Augen schauen kann, sollten wir das neunte Gebot hinsichtlich unserer Kommunikation wieder mehr beherzigen, meditieren und beten, damit wir auch in diesem Punkt unserem Vorbild, Christus, immer ähnlicher werden. Unser Apostel Paulus hat es mit am Besten zusammengefasst:
Redet nicht schlecht voneinander, sondern habt ein gutes Wort für jeden, der es braucht. Was ihr sagt, soll hilfreich und ermutigend sein, eine Wohltat für alle. (Eph 4,29)
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