Ein Gemeindeglied, das in ärmlichen Verhältnissen lebt, soll sich vor Augen halten, was für eine hohe Würde Gott ihm verliehen hat. Und wer reich ist, soll sich vor Augen halten, wie wenig seine hohe soziale Stellung vor Gott wert ist; denn er wird vergehen wie eine Blume auf dem Feld. Wenn die Sonne emporsteigt und ihre Glut das Gras versengt, verwelkt die Blume, und ihre Schönheit ist dahin. Genauso wird auch der Reiche vergehen mit allem, was ihm sein Reichtum ermöglicht hat.
(Jakobus 1,9-11)
Jakobus sprach in den ersten paar Versen seines Briefes (Verse 2-8) über den richtigen Umgang mit schwierigen Umständen. Könnte es sein, dass er nun auch diese Verse über Armut und Reichtum in sein Thema einschliessen will? Ich glaube ja. Die Bibel spricht ja insgesamt viel über die Fallen und Versuchungen des Reichseins. Etwas weniger kommt Armut aufs Tapet. Aber auch Armut kann zu einer Prüfung werden. Auf jeden Fall möchte Jakobus hier beides besprochen haben.
Zuerst einmal eine Beobachtung 'von aussen'. Es scheint so, dass in den Gemeinden, denen Jakobus schrieb, verschiedene soziale Schichten zusammenfanden. Jakobus lässt diese Tatsache vordergründig einfach mal so stehen. Er hat keine marxistische Agenda im Gepäck. Nicht, 'ihr müsst schauen, dass die Reichen die Taschen der Armen füllen, so dass am Ende alle gleich viel haben'. Natürlich schreibt Jakobus später auch über den Impuls der Nächstenliebe, der Reiche dazu bewegen sollte, denjenigen Kleider und Brot zu geben, denen es mangelt (Jak 2,14-17). Aber er sagt nicht, 'Reichsein ist in sich falsch und wer zu viel Geld hat, sollte es möglichst schnell loswerden!' Typisch biblisch! Worauf die Bibel so häufig den Finger legt ist die innere Haltung, die inneren Abhängigkeiten, den 'Götzendienst' des Herzens. Armut und Reichtum sind äussere Umstände, die ganz unterschiedliche 'innere' Herausforderungen und Reaktionen mit sich bringen können.
Wer arm ist, ist weniger wert. Richtig? Ich kann mir schon vorstellen, dass Armut zu einem Gefühl von Minderwertigkeit führen kann. Vielleicht vor allem in der Schweiz der Reichen. Man bekommt mit, wie die Menschen hier gewöhnlich ihr Leben so gestalten, wie sie ihre Häuser bauen, ihre Autos kaufen und in die Ferien ans Meer fliegen. Und man stellt deprimiert fest, dass man selbst aufgrund seiner begrenzten Möglichkeiten einem viel bescheideneren Lebensstil fristen muss. Das kann weh tun, bedrücken, neidisch machen. Warum ist mein Leben so limitiert? Warum geht es anderen so viel besser? Wenn ich doch nur dies und jenes hätte, dann wäre mein Leben einfacher und lebenswerter.
Es stimmt, Reichtum ermöglicht vieles. Doch das ist für Jakobus nicht das eigentliche Thema hier. Was wirklich zählt ist eine Identität in Gott - die Würde, die Gott verleiht. Du magst noch so unvermögend sein, als Tochter und Sohn Gottes hast du eine Stellung, die dich weit über deine irdischen Verhältnisse hebt. Jesus gab sein Leben für dich, damit du Sohn oder Tochter des himmlischen Vaters werden kannst. Sagt das nicht schon alles über deine Würde und den Wert, den Gott deinem Leben gibt? Jakobus fordert dich dazu auf dir diese geistliche Realität vor Augen zu halten - im Glauben zu leben. Dass du in dein Leben in Gott investieren sollst, bis die Gedanken Gottes deinen tiefsten, inneren Dialog bestimmen. Was dich ultimativ definiert ist, was Gott über dich denkt!
Wenn der Arme von seinen Umständen weg 'nach oben' schauen soll, so wird der Reiche aufgefordert von seinem hohen Ross 'herabzusteigen'. Vordergründig tönt das so, als ob der Reiche den genau gegenteiligen Weg beschreiten soll - seine Umstände betrachten und sich ausmalen, dass sein Reichtum vergänglich und sein Leben kurz ist. Aber auch diese Perspektive ist nicht unbedingt eingängig und erfordert einen speziellen Effort. So denken reiche Menschen normalerweise nicht. Wer denkt schon viel und gern über die Vergänglichkeit seines materiellen Besitzes und die Kurzfristigkeit seines Lebens nach.
Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass Jakobus die Reichen nur auf diese irdisch-bezogene Realität verweisen wollte. Denn auch sie haben ja ein Leben in Christus. Ihr Ziel ist letztlich dasselbe: Wenn du reich bist, dann führe dir vor Augen welche Stellung du in Christus hast. Schau auf ihn und nicht auf deine (positiven) Umstände. Denn es sind nicht deine Errungenschaften oder die Besitztümer, die dich definieren. Die Versuchung des Reichtums ist, dass wir uns gerne an unser Material hängen und uns einbilden, wir seien nun abgesichert, ewig versorgt und gesegneter als alle anderen. Dabei werden wir stolz und unabhängig. Wir hängen unser Herz nicht an Gott, sondern an das irdische Material. Wir vergessen, dass wir von unserem himmlischen Vater abhängig sind. Diese hohe Sicht will Jakobus hier stürzen. Damit wiederholt er nur, was auch Jesus schon gepredigt hatte:
Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. (Mt 6,19-21)
Das Evangelium bringt alle, ob arm oder reich, auf dasselbe Level vor Gott. Wenn du tief gefallen bist, holt es dich aus dem Abgrund herauf. Wenn du zu hoch fliegst, holt es dich vom Himmel herunter. Egal ob hoch oder tief, es bringt dich vor das Kreuz, vor dem alle Menschen letztlich gleich sind - Sünder vor dem heiligen Gott. Und dann zieht es dich in himmlische Höhen, in eine Identität in Christus, die so unvergleichlich viel mehr wert ist als alle Reichtümer der Welt. Je mehr du in dieser Realität lebst, desto mehr wirst du mit Paulus sagen können, dass du niedrig oder hoch, satt oder hungernd sein kannst und dass du mit beiden Situationen umgehen kannst, im Überfluss leben oder Mangel leiden und dass dies eigentlich egal ist, weil 'du alles vermagst durch den, der dich stark macht.' (Phil 4,12-13)
Es gab da einen Menschen, der wie kein anderer in diesem Bewusstsein gelebt hat. Ich spreche natürlich von Jesus. Obwohl er als Sohn Gottes alle himmlischen Reichtümer für sich hatte, verzichtete er auf seine himmlische Stellung bei seinem Vater und nahm die 'Knechtsgestalt des Menschseins' an. Mehr noch, er erniedrigte sich bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,6-8). Als er auf dieser Welt war und seinen Dienst tat, hatte er keinen festen Ort an dem er seinen Kopf hätte hinlegen können (Mt 8,20). Und doch wusste er zutiefst, dass er von seinem Vater geliebt und bestätigt war (Mk 1,11). Er definierte sich nicht über seine irdisch-soziale Stellung (was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?), sondern über seine himmlische Identität bei seinem Vater.
Worauf schaust du? Auf deine Umstände, ob arm oder reich? Oder erhebst du deinen Blick 'nach oben', von wo deine Hilfe und deine Identität wirklich herkommen?
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